Feuchtgebiete

«Sex ist nur schmutzig, wenn er richtig gemacht wird» – so sieht es Woody Allen. «Feuchtgebiete» ist ohne Zweifel richtig gemacht. Es fängt mit dem Abbild einer Hautspalte an. Bei genauerem Hinsehen stellt sie sich als Kniefalte heraus. Doch unsere Phantasie ist bereits gefesselt. «Feuchtgebiete» spielt von Beginn weg gekonnt mit dem, was das Bild […]

«Sex ist nur schmutzig, wenn er richtig gemacht wird» – so sieht es Woody Allen. «Feuchtgebiete» ist ohne Zweifel richtig gemacht.

Es fängt mit dem Abbild einer Hautspalte an. Bei genauerem Hinsehen stellt sie sich als Kniefalte heraus. Doch unsere Phantasie ist bereits gefesselt. «Feuchtgebiete» spielt von Beginn weg gekonnt mit dem, was das Bild kann, wenn es eine humorige Sprache nutzt, denn Humor, das weiss der Lateiner, stammt aus den Feuchtgebieten. Dort, wo Sprache unsere Phantasie am ausufern hindern will.

Wie einst bei Pippilotti Rist dringt die Bilder-Reise erst einmal proktologisch in die Frau ein, reist durch sie hindurch, um erst am Schluss wieder aus ihr hinaus zu führen. Erst müssen wir allerdings lange den intellektuellen Horizontlinien einer ca. Neunjährigen entlanghangeln, zu der die Autorin Charlotte Roche reichlich Hilfestellung bietet: Immerhin ist der Nachteil von Romanverfilmungen in diesem Fall ein Vorteil für den Film. Fünf von Sex Sechsteln von Roche’s Textes fallen weg.

Die Kindsfrau auf dem Weg vom Kind zur Frau

Carla Juri gibt uns diese Kindsfrau verspielt. Mit trotzig infantiler Stimmlage, in maliziöser Laszivität zeigt sie wohlerzogen Ungezogenheit. Lange tappen wir mit ihr in den Randgebieten der Obszönität herum, ja, schon fangen wir an, uns ein wenig zu wiederholen in unseren Phantasien, da fängt die Geschichte an, Fahrt aufzunehmen – dank ihr.

Ein bitterböser Abgesang auf Elternliebe singt die kleine schöne Helen da: Das Schneckenkindlein ist viel zu wenig geliebt worden. Es hat statt Liebe bloss Eigennutz von seinen Weinbergschneckeneltern erhalten. Jetzt ist das Schnecklein aus dem Häuschen. Dergestalt als Nacktschnecklein unterwegs, fängt es nun an, sich und seinen Körper zu – verunstalten?

Erst sieht das alles noch so aus wie strenger Lustgewinn. Doch gewinnt im letzten Drittel die Obsession dann eine schmerzliche Tiefe – und Poesie: Nachdem aus dem Avocadostein ein Bäumchen aus der Scheide gewachsen ist, richtet die junge Frau plötzlich all ihre Liebessehnsucht verbissen gegen sich. «Sex ist», das wusste Woody Allen schon,  «nur schmutzig, wenn er richtig gemacht wird». Dieser Film ist ohne Zweifel richtig gemacht. Aber neu ist daran höchstens eine wohlanständig unanständige Schauspielerin.

 

Der Film läuft zur Zeit in den Kult-Kinos und den Pathé-Kinos

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