Star-Bassist Dave Holland spielte einst mit Miles Davis. Dass er ein unternehmungslustiger Schüler geblieben ist, bewies er bei seinem Konzert im Theater Basel. Gemeinsam mit dem Flamenco-Virtuosen Pepe Habichuela lieferte Holland eine spannende Stilkunde.
Eigentlich bietet Sandro Schneebeli mit seinen ersten Tönen den perfekten Einstieg zum hochkarätigen Jazzabend: Mit seiner Gitarre imitiert der Mann aus Lugano einen indischen Raga und verweist damit auf das Ursprungsgebiet des Flamenco, jenes Stils, der in der zweiten Hälfte des Konzerts eine so prominente Rolle spielen wird.
Doch Schneebeli bleibt nicht in Indien haften: Mit seinem international besetzten Quartett Scala Nobile zaubert der Tessiner eine kosmopolitische Klangsprache, die Kolorit vom Balkan, mediterrane Wehmut und viele Latin-Einsprengsel bündelt. Dies alles nicht in purem Eklektizismus, sondern höchst individuell zu suitenartigen Stücken verzwirbelt. Da befeuern Perkussionist Stephan Riegert und der brasilianische Bassist Dudu Penz mal das ganze Ensemble mit einem Salsa-Rhythmus, dann wiederum greift Schneebeli zur Zwölfsaitigen und spinnt einen filigranen Folkjazz, der in Latinrock einschwenkt. Oder man geht den umgekehrten Weg: Vom handfesten Rockriff schlittert das Quartett unversehens hinein in ein verhalltes Klanggebilde, das nach Alm tönt, inklusive Kuhglocken und Schafsgeblöke. Eindrücklich bei alledem der Erfindungsreichtum von Schneebelis Gitarrensoli, die stellenweise ein wenig in Richtung Leistungsschau gehen, während der grandiose Akkordeonist Antonello Messina seine sangliche Virtuosität stets unverkrampft aus dem Fluss entwickelt.
Unternehmungslustige Musiker
Doch dann der Hauptact des Abends: Da ragt, zwischen seinen vier sitzenden andalusischen Mitmusikern, ein Bassmann empor, der mit allen Wassern gewaschen ist. Vor mehr als 40 Jahren spielte er bei Miles Davis, kollaborierte seitdem mit praktisch jeder Jazzgrösse und hat einen riesigen Plattenkatalog auf dem Label ECM mit eigenen Formationen. Sympathisch ist, dass Dave Holland, dessen Bühnenpräsenz man in Basel kennt und schätzt, immer noch der neugierige Schüler auf der Suche nach unerforschten musikalischen Wegen geblieben ist. Daher auch sein neues Teamwork mit dem andalusischen Flamencogitarrist Pepe Habichuela, in dem er sich pudelwohl zu fühlen scheint. Wie ein Bub grinst der Bassist immer wieder nach allen Seiten, strahlt eine unternehmungslustige, kindliche Musizierfreude aus und überspielt dadurch clever, dass er ab und zu in die Noten schielen muss, denn schließlich ist er hier ja nach wie vor ein wenig fachfremd.
Seine Compañeros sind allesamt beschlagene Meister vom südwestlichen Rande Europas: Altmeister Pepe Habichuela hat seine jungen Verwandten aus dem Carmona-Clan mitgebracht, Josemi als zweiten Gitarristen und Juan als Springer zwischen Saiten und Schlagwerk, sowie den Perkussionisten Bandolero. Holland hat hier niemals bloße Begleitfunktion: Wie wenige seiner Zunft hat er den Bass komplett herausgelöst aus der dienenden Rolle, spielt hochmelodisch, klettert und glissandiert flexibel in die Höhen. Dass er an einem Reisebass mit verkürztem Korpus agiert, macht den Sound zwar etwas flacher, unterstützt aber sein fast schon gitarristisches Spiel. Reizvoll sind die verschiedenen Konstellationen, denn selten zeigt sich das gesamte Quintett auf der Bühne: In einem sehr konzentrierten Duo huldigen Habichuela und Holland dem Sänger Camarón de la Isla, schwingen sich zu inniger Zwiesprache empor.
Sternstunde im «Tangroove»
Der andalusische Senior offenbart seine Grösse dabei vor allem durch rhythmisch ausgefeilte Dramaturgie, eine treibende Strenge, die die Zuhörer in den Bann schlägt und immer wieder für feurige Olé-Rufe aus dem Publikum sorgt. Ganz anders der jüngere Josemi mit seiner weissen Gitarre, der sich mit hellem, klarem Klang immer wieder melodieselig in die oberen Bünde wagt, etwa in der Holland-Komposition «Joyride», mit ihrem tänzelnden, kaum noch die Erde berührenden Groove. Die fliegenden Hände der beiden Perkussionisten, die stets eine ausgefeilte Textur aus sattem Cajón, und sparsamem Bongo- und Conga-Ensatz weben, haben ihre Sternstunde im «Tangroove», der mit verblüffendem Unisono-Timing beendet wird.
Überhaupt ist der Abend eine spannende Stilkunde: Ein Fandango kreiert einen kreisenden Sog nach unten, und die Seguiriya, rhythisch komplexeste Form des Flamenco, stellt höchste Anforderungen an alle Akteure. Diese Spannung löst sich schließlich im Finale: Eine Rumba gibt es für den Nachhauseweg, jene Form, die die Gypsy Kings einst zur Hitparadentauglichkeit trimmten. Hier freilich bleibt sie hohe Kunst mit sonnigem, in sich ruhendem Glanz.