Künstliche Herzklappen wachsen nicht. Das wird für Babys mit Herzfehlern zum Problem. Um wiederholte Operationen zu vermeiden, haben Zürcher Forscher einen mitwachsenden Herzklappenersatz entwickelt. Nach 20 Jahren Forschung stehen sie kurz vor ersten Tests im Mensch.
Wenn Babys eine künstliche Herzklappe brauchen, stehen Mediziner vor einem Problem: Die heutigen Prothesen aus Kunststoff wachsen nicht mit dem Kind mit. Deshalb müssen sie häufig ausgetauscht werden, was regelmässige Operationen bedeutet. «Mit jeder Operation wächst das Risiko für Komplikationen exponentiell», erklärt Simon Hoerstrup von der Universität Zürich im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda.
Dieses Problem will er mit seinem Team am Forschungszentrum «Wyss Zurich» lösen. Die Idee dazu hatte Hoerstrup schon in den 1990er Jahren, während er in der Kinderherzchirurgie in Boston arbeitete und auf die Regenerative Medizin aufmerksam wurde. Das Prinzip besteht darin, aus Zellen im Labor menschliches Gewebe zu züchten, um damit kranke Organe zu reparieren.
Zellen aus dem Fruchtwasser
Hoerstrup fasste damals das Ziel, aus Stammzellen des ungeborenen Kindes in der Gewebekultur eine Herzklappe wachsen zu lassen, die nach der Geburt eingesetzt werden kann und fortan mitwächst und sich regeneriert. Es reichen zum Beispiel einige Stammzellen des Fötus aus dem Fruchtwasser der Mutter. Diese «säen» die Forschenden auf ein formgebendes Polymergerüst, das sich auflöst, während die Zellen im Bioreaktor zu einer kleinen Herzklappe heranwachsen.
20 Jahre Forschung und Entwicklung später ist das Verfahren soweit ausgereift, dass erste klinische Studien bevorstehen. In Tierversuchen mit Lämmern haben sich die gezüchteten Herzklappen bereits bewährt.
Weil es in der künftigen klinischen Studie um Babys geht, wollen Hoerstrup und sein Team keine Risiken eingehen. Deshalb kommt zunächst nicht die relativ komplexe, dreisegelige Herzklappe, sondern eine einfachere Version aus der Gewebekultur zum Einsatz: ein im Labor erzeugtes Blutgefäss, das mitwachsen soll.
Reparatur für schweren Herzfehler
«Damit können wir einen schweren Herzfehler reparieren, bei dem das Herz zwar zwei Vorhöfe hat, aber nur eine Kammer», erklärt der Professor für Regenerative Medizin. Der Trick besteht darin, die bei diesem angeborenen Herzfehler fehlende rechte Kammer zu umgehen. Das aus dem Körper zurückkehrende Blut wird mit dem neu eingesetzten Blutgefäss am Herz vorbei direkt zur Lunge geführt.
In Europa erhalten jährlich rund 300 neugeborene Kinder zu diesem Zweck ein künstliches Blutgefäss. «Bisher sind das Kunststoffschläuche, die ebenso wie die künstlichen Herzklappen nicht mitwachsen und dadurch Probleme verursachen», sagt Hoerstrup.
Im Rahmen der Zelltherapie-Plattform am «Wyss Zurich» hat das Team des Projekts «Life Matrix» die Gewebekultur soweit optimiert, dass sie die Blutgefässe und Herzklappen sehr standardisiert herstellen können.
Klinische Studie könnte bald beginnen
«Wir haben nach all den Jahren intensiver Forschungsarbeit nun so viel Vertrauen in unsere Technologie, dass wir damit in Patienten gehen», sagt Hoerstrup. Wenn dem Antrag für die klinische Studie stattgegeben wird, könnte es Ende des Jahres losgehen. Ein Herzspezialisten-Team am Zürcher Kinderspital bereite sich darauf vor. Die Herzklappen könnten ein bis zwei Jahre später soweit sein.
Dass Hoerstrup seine Idee bis zum Einsatz im Patienten begleiten kann, ist keineswegs selbstverständlich. «Das Prinzip hinter dem von der Universität und der ETH Zürich gemeinsam gegründeten ‚Wyss Zurich‘ ist, dass die akademische Seite länger involviert bleibt im Entwicklungsprozess. Das erhöht die Chance, dass die Erfindung wirklich beim Patienten ankommt», sagt der Forscher.
Ein bisschen leben damit die Anfänge der Herzklappenprothesen wieder auf: Bereits 1952 setzte ein US-Chirurg namens Charles Hufnagel einer Patientin eine von ihm selbst entwickelte künstliche Aortenklappe ein. Selbst operieren wird Hoerstrup zwar nicht, die klinische Studie wird er jedoch eng begleiten.