Titelverteidiger Frankreich ist an der heute beginnenden Handball-EM in Polen erneut jenes Team, das es zu schlagen gilt. Auch die Gastgeber hegen grosse Ambitionen.
Die Dominanz der Franzosen in den letzten Jahren ist eindrücklich. Seit 2006 haben sie an Olympischen Spielen (2008, 2012), Welt- (2009, 2011, 2015) und Europameisterschaften (2006, 2010, 2014) nicht weniger als achtmal den Titel geholt. Oder anders ausgedrückt: Sie kehrten in diesem Zeitraum nur von vier Grossanlässen nicht als Champion zurück. Bei Europameisterschaften war dies in jenen Jahren der Fall, in denen auch Olympische Spiele stattfanden. Diese Statistik spricht also gegen die «Equipe tricolore».
Zudem beklagen die Franzosen einige Verletzte, unter ihnen Xavier Barachet, Mathieu Grébille und William Accambray. Erfolgstrainer Claude Onesta hat deshalb gleich sechs Spieler aufgeboten, für die ein Turnier auf diesem Niveau eine Premiere ist. Dennoch verfügt die Mannschaft über mehr als genügend Qualität. Dafür sind alleine schon Nikola Karabatic, der als weltbester Handballer bezeichnet werden kann, und Torhüter Thierry Omeyer Garanten. Letzterer ist zwar bereits 39 Jahre alt, kann aber nach wie vor jeden Gegner zum Verzweifeln bringen. «Die Neuen wurden schnell integriert. Sie wagten viel und hatten keine Angst», sagte Karabatic. «Ihre Einstellung gibt uns Zuversicht für die Zukunft.»
Dass die Franzosen für die EM bereit sind, bewiesen sie im letzten Testspiel, in dem sie Dänemark gleich 36:28 abfertigten. Am Tag zuvor waren sie Katar allerdings 25:28 unterlegen. Für Onesta ist klar, dass sie mit einer Leistung wie gegen die Dänen jeden schlagen können. Er stellt sich jedoch die Frage, ob sie ein solches Niveau auch konstant halten können. Gewinnen die Franzosen, die in der Vorrunde auf Mazedonien, Serbien und Polen treffen, zum vierten Mal den Titel, schliessen sie zu Rekord-Europameister Schweden auf.
Grosse Hoffnungen auf den EM-Thron macht sich Spanien. Die Iberer wurden zwar bislang zweimal Weltmeister (2005, 2013), eine EM-Goldmedaille fehlt jedoch noch im Palmares. Diese hat Trainer Manolo Cadenas, der auf eine eingespielte Mannschaft zurückgreifen kann, ganz klar zum Ziel gesetzt. Dänemark, der Europameister von 2006 und 2010, gehört wie Kroatien ebenfalls wieder zu den Favoriten. Auch die vom Deutschen Michael Bigler trainierten Polen rechnen sich einiges aus, umso mehr, als sie im vergangenen Jahr an der WM in Katar Bronze geholt haben. Das Prunkstück der Gastgeber ist die Verteidigung. Die Erwartungshaltung ist allerdings riesig, ungesehen einiger verletzungsbedingter Absagen.
Gespannt sein darf man auf den Auftritt der Deutschen, die ebenfalls mit Verletzungen zu kämpfen haben. Trainer Dagur Sigurdsson muss ohne vier Stammspieler auskommen, wobei vor allem der Ausfall von Captain Uwe Gensheimer schmerzt. Sigurdsson kann jedoch auf ein sehr talentiertes Team zählen, wobei der einst bei Kadetten Schaffhausen spielende Christian Dissinger zu den Hoffnungsträgern gehört. Die DHB-Auswahl will an die guten Leistungen der WM in Katar (7.) anzuknüpfen, nachdem sie im Jahr zuvor an der EM in Dänemark gefehlt hatte und auch in Katar nur dank einer Wildcard dabei gewesen war. Die Deutschen sind allerdings bereits in der Vorrunde mächtig gefordert, wurden sie doch der Hammergruppe mit Spanien, Schweden und Slowenien zugelost. Die ersten drei erreichen die Hauptrunde.
In Polen geht es nicht nur um Ruhm und Ehre, sondern auch um ein Ticket für die Olympischen Spiele. Der Europameister ist direkt für Rio qualifiziert. Verteidigen die Franzosen den Titel erfolgreich, kann der unterlegene Finalist die Reise nach Brasilien planen. Polen, Spanien, Dänemark, Kroatien, Deutschland und Slowenien haben aufgrund der Platzierungen an der letzten WM zumindest die Teilnahme an einem der drei Olympia-Qualifikationsturniere auf sicher. Löst einer aus diesem Sextett direkt das Olympia-Ticket, rückt der WM-Neunte Mazedonien nach. Insgesamt nehmen acht europäische Mannschaften an den Olympia-Qualifikationsturnieren teil. Es sind also noch zwei Plätze zu vergeben.