«Je ne sais pas» – das ist eine der häufigsten Antworten, wenn ein Wanderer im Tal der Loire nach dem Weg fragt.
Manchmal sehne ich mich nach Schottland, Wales oder England zurück. Mit wem immer ich dort ins Gespräch kam – und es war ein Kleines, mit jemandem ins Gespräch zu kommen – da hat sich ein Erzählen und Fragen und Erzählen ergeben, von beiden Seiten. Eine Neugier hatten da viele Leute und einen Stolz, das mitzuteilen, was ihnen mitteilenswert schien.
Das gibt es ganz selten hier. Etwa mit dem älteren Mann gestern, der seinen Grünhag zurückschnitt. Der mich fragte, wohin des Wegs. Und als ich ihm antwortete, nach Montrichard, sagte er mir, ich sei auf dem falschen Weg. Dort unten gehe die Strasse. Das wisse ich wohl, sagte ich, aber zum Wandern sei es auf diesem Nebenweg schöner. Das leuchtete ihm ein, aber der eigentliche Weg nach Montrichard gehe nicht hier durch.
Die Franzosen haben wenig übrig fürs Wandern. Sie haben zwar ein paar Grandes Randonnée – im Jura, in den Alpen, der Atlantik-Küste entlang, nach Santiago de Compostela – und machen ein grossses Tamtam darum, aber so in gewöhnlichen Landschaften und Gegenden finden sie alles, was über Verdauungsspaziergänge hinausgeht, doof. Sie machen sich auch gern lustig über die Deutschen und Engländer, die wandern. Wandern scheint nun einfach nicht Sache der Franzosen zu sein. Und einen, der mit dem Rucksack durch Nicht-Wandergebiet geht, halten sie für einen Spinner. So erlebe ich es immer wieder – von Passanten etwa , die aus irgendeinem Grund wegen irgendeiner Angelegenheit doch ein paar Schritte tun und mir begegnen, von vorbeifahrenden Autofahrern auf den Nebenwegen, von Wirten, Hoteliers. Wir haben eine schöne Landschaft, hier im Loire-Tal, schöne Schlösser, guten Wein, gutes Essen – und wenn du das geniessen willst, so tu es doch lieber mt dem Auto.
«Dort oben, nicht weit weg»
Die Antwort auf die Frage nach einer Unterkunft, nach einem Laden, nach einem Weg, ist meistens «je sais pas». «Je sais pas» – wie oft hab ich das gehört in den letzten Tagen. Kein Interesse, jemandem weiterzuhelfen, der zu Fuss unterwegs ist, gratis einem Fremden einen kleinen Gefallen zu tun. Bin in dieser wunderschönen Ortschaft Le Thoureil angelangt am letzten Sonntag. Wäre gern dort geblieben, es war schon bald Abend. Fragte eine Wirtin, ob sie Zimmer vermiete. Nein, sagte sie, aber dort oben vermiete ein Engländer Zimmer. «Wo?» fragte ich. Und sie sagte: «Dort oben, nicht weit weg.» Jeder Engländer hätte sich die Mühe genommen, mir den Weg zu schildern. Die Wirtin in Richebourg sagte einfach: «Dort oben, nicht weit.» Ich hab vergeblich gesucht und bin in dieses mässig hübsche Hotel in Gennes weitergegangen. Es hätte der Wirtin ja auch keinen Vorteil gebracht, wenn ich das Zimmer gefunden hätte. Oder doch? Hätte vielleicht bei ihr das Nachtessen eingenommen. Vielleicht schimpft sie auch lieber darüber, dass die Linken den kleinen Unternehmern zuviele Steuern abverlangen als sich um Gastfreundschaft zu bemühen, was als Wirtin ja ihre Aufgabe sein könnte.
Und mit solchen Gedanken – nach einer Nacht bei einem unfreundlichen Wirt, einem vergeblichen Versuch, in einer Bar einen Kaffee zu trinken – und nach einem Besuch auf einem kleinen, wunderschönen Markt in Montrichard bin ich der Cher entlang aufwärts gewandert, dem schattigen Ufer entlang, bei wolkenlosem Himmel. Es war früh und schnell sehr heiss, sechsunddreissig Grad sollte es werden.
Musste eine Weile aufs Geratewohl wandern, ohne Karte, ein bisschen nach dem Weg fragen, wenn einer dieser Bauersleute oder Winzer in der Nähe war. Sie wussten eigentlich nie, wo durch, verwiesen auf die Autostrasse und so fand ich die Wege, die es durchaus gab, selbst. Dachte, dass es mit der Zeit so eine Art Gefühl dafür gibt, wo man durch muss und hab mich nur einmal in einem Wald ziemlich deftig verlaufen.
Eine Kirche mit Trinkwasser und eine ohne
Erstaunlich, wie ausgestorben die Dörfer an einem heissen Nachmittag sein können. Choussy zum Beispiel: Ein Dorfplatz bei der Kirche – ausnahmsweise mit einem kleinen Hahn, aus dem Trinkwasser kam – und sonst nur Ruhe. Eine kleine Bar mit offener Tür, aber kein Mensch weit und breit. Oisly: Nicht einmal eine Bar, kein Laden, eine verwahrloste Kirche – aber immerhin offen, und kühl war es drin.
Und nach meinen Irrungen im Wald dann Contres, wo ich zu übernachten gedachte. Die Leute zuckten die Achseln bei der Frage nach einem Hotel: «Sais pas.» Eine Frau wies mir dann den Weg zum Hotel de France. Leider fragte ich in Wanderschuhen und kurzen Hosen: Kein Platz. Ich schwöre, dass die Frau gelogen hat. Und ihr Mann, der dazu kam, grad auch. In der Bar die Frage nach einem weiteren Hotel.
Ein Schloss
Was ich nicht wusste: Dass ich nach sechs Kilometern am Château du Breuil vorbeikommen sollte, in dem Zimmer vermietet wurden – in einem Schloss in einem Park, weit abgelegen von der nächsten Ortschaft. Und da sollte ich schlafen! Hätte ich doch nur was zu essen und trinken eingekauft, um im Zelt zu schlafen. Doch dafür war’s jetzt zu spät. Ich fragte trotz meiner etwas unschicken Aufmachung nach. Es gab ein Zimmer, man führte mich hinauf.
Wohnen wie ein Fürst – aber nein, Mahlzeiten würden keine gekocht. Zum Essen müsse ich schon nach Cour Cheverny. Etwa vier Kilometer vom Schloss. Und so liess ich den Rucksack stehen, marschierte nach Cour Cheverny. Und dort: Nein, zu essen gebe es um diese Zeit nichts mehr. Und Rotwein über die Gasse, als Schlummertrunk im nahen Schloss – nein, das machen sie nicht.
Ich fand dann eine Pizzeria, wo man das trotzdem macht.
(Château du Breuil, 14. Juni 2002)