Gefangen im Antoinetten-Reigen

Den 100. Geburtstag bzw. 20. Todestag von Max Frisch im vergangenen Jahr hatte das Theater Basel ohne Hommage an den grossen Schweizer Autoren vorüberziehen lassen. Nun aber ist im Schauspielhaus eine erfrischend lebendige, wenn auch zuweilen etwas zerzauste Inszenierung seiner Schicksalskomödie «Biografie: Ein Spiel» zu sehen.

«Ich habe es als Komödie gemeint»: Martin Hug und Ilja Niederkirchner (Bild: Judith Schlosser)

Amélie Niermeyer inszeniert Max Frischs «Biografie: Ein Spiel» als quirlig-komödiantischen Reigen rund um die grosse Frage, was wäre, wenn man die eigene Biografie rückwirkend in neue Bahnen weisen könnte.

Am Schluss schafft nur gerade diese eine Ohrfeige, bzw. der Verzicht darauf, die Frau, die ihn seit Jahren betrügt, ins Gesicht zu schlagen. Dabei wird dem Professor Kürmann, sinnigerweise Verhaltensforscher von Beruf, am Ende seines gescheiterten Lebens die unglaubliche Chance offenbart, sein Leben noch einmal zu durchleben und dabei seinen Lebenslauf in neue Bahnen zu lenken. Doch in den wirklich entscheidenden Momenten versagt der Auserwählte. So schafft Kürmann es auch in etlichen Wiederholungen nicht, rückwirkend der Liebesszene mit der Frau auszuweichen, die ihm eine jahrelange unglückliche Ehe beschert hat.

Mit seinem 1967 fertiggestellten Stück «Biografie: Ein Spiel» brachte Max Frisch das Spiel mit Biografie und biografischer Fiktion, wie man es bereits aus seinen berühmten Romanen kannte, neu auch auf die Bühne. Und dieses wirkt heute um einiges weniger gealtert als die weitaus bekannteren Parabeln «Biedermann und die Brandstifter» oder «Andorra». Die Frage, was wäre, wenn man sein Leben rückwirkend und mit dem Wissen um die missglückten Weichenstellungen anders leben könnte, scheint heute mehr als noch zur Entstehungszeit des Werks den Nerv der Zeit zu treffen. Das mag an der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft liegen. Eine Rolle spielt aber auch die dramaturgisch verspielte und psychologisierende Momente vermeidende Konstruktion des Stücks.

Spielfiguren im Schicksalsspiel

Regisseurin Amélie Niermeyer und ihr Ensemble nehmen das Prinzip des Spiels, das sich ja bereits aus dem Stücktitel ergibt, beim Wort. Die Bühne, die von zwei Seiten von den Zuschauerreihen gesäumt ist, entpuppt sich als eine Art Spielbrett mit 35 an Drahtseilen schwebenden roten Kugeln, die je nach Spielsituation ihre Positionen ändern (Bühne: Florian Etti). Und auf diesem Spielfeld befinden sich sieben, zu Beginn gleichgewandete Figuren (Kostüme: Kirsten Dephoff), die sich erst aus ihren lila-schwarz karierten Anzügen schälen müssen, um zu den Spielfiguren im Stück zu werden.

Aber auch diese entpuppen sich mit einer Ausnahme nicht als fassbare Individuen. Die Ausnahme ist der Professor Kürmann, der begleitet vom hier mehrköpfig besetzten Registrator oder Spielbegleiter sein Schicksal rückwirkend in die eigene Hand nehmen kann bzw. könnte. Martin Hug verkörpert diese Figur in einer berührend-tragischen Mischung aus totaler Überforderung und geradezu jämmerlicher Hilflosigkeit. Was auch durchaus verständlich wird, denn auch die schicksalhafte Frauenfigur der Antoinette umschwirrt ihn zumeist in mehrfacher Ausführung – meist zwei-, einmal auch gar sechsfach. Dazu kommt, dass der Registrator bzw. die Registratorengruppe ihrem Kandidaten nicht mit dem angebrachten Mass an Güte und Hilfsbereitschaft beistehen, sondern ihn auch immer wieder ungeduldig mahnen, endlich etwas zu bewegen, wozu er in dieser bedrängten Situation schlicht nicht in der Lage sein kann.

Temporeicher Bilderrausch

Kürmann sieht sich so von einem wabernden Kosmos an Metamorphen umringt, die ständig ihre Gestalt wechseln, von der Antoinette zum Registrator und zu weiteren Figuren wie der ersten Braut Katrin, dem Schulkameraden Rotz, dem Nebenbuhler Stahel oder dem Professorenkollegen Krolewsky (Andrea Bettini, Claudia Jahn, Joanna Kapsch, Florian Müller-Morungen, Ilja Niederkirchner und Christiane Rossbach). Ab und zu, etwa wenn eine eine Tanzgruppe im Tütü die störende Nachbarschaft einer Ballettschule symbolisieren soll, wirkt das Ganze zwar auch etwas albern, über weite Strecken gelingt es dem Ensemble aber, einen temporeichen Bilderreigen zu erzeugen, der durchaus packende Momente aufzuweisen hat.

Zum Schluss sei hier noch eine kleine, persönliche und damit absolut nicht repräsentative Umfrage unter Zuschauerinnen und Zuschauern angefügt, was sie denn an ihrem Lebenslauf nachträglich ändern wüden, wenn sie könnten. Die einhellige Antwort auf die Frage lautete: «Eigentlich nichts». So gesehen ist es auch durchaus verständlich, dass Kürmann im Stück völlig konsterniert auf die Tatsache reagiert, dass die Frau, von der er selber nicht loskommen kann, es am Schluss spielend schafft, die folgenschwere Liebesszene zu vermeiden.

 

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