Nach dem offiziellen Ende der Waffenruhe in der Ostukraine hat die Armee den Einsatz gegen die prorussischen Kämpfer wieder aufgenommen. Im Zuge der «Antiterror-Operation» lieferten sich Luft- und Bodenstreitkräfte am Dienstag schwere Gefechte mit den Aufständischen.
Nach Angaben des ukrainischen Parlamentspräsidenten Alexander Turtschinow griffen die Streitkräfte «die Stützpunkte und Hochburgen der Terroristen» an. Sowohl Kiew-treue als auch prorussische Kräfte berichteten von schwerem Artilleriefeuer und Luftangriffen in den wirtschaftlich bedeutsamen Grenzregionen Lugansk und Donezk.
Nach Angaben der Russland zugeneigten Stadtverwaltung von Donezk wurden vier Zivilisten getötet und fünf verletzt, als ihr Bus nahe Kramatorsk ins Kreuzfeuer geriet.
Beide Seiten bestätigten zudem schwere Panzergefechte bei den Ortschaften Karliwka und Marinka. In der Umgebung der Separatistenhochburg Slawjansk war Artilleriefeuer zu hören. Die Armee sprach von mindestens einem Toten und 17 Verwundeten in ihren Reihen.
Am Abend vermeldeten die ukrainischen Streitkräfte einen ersten Erfolg. Armee und Grenzschützer hätten in der Region Lugansk einen bislang von prorussischen Kämpfern kontrollierten Posten an der Grenze zu Russland zurückerobert, sagte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko.
Emotionale Ansprache
Poroschenko hatte die Waffenruhe für den Osten des Landes vor zehn Tagen ausgerufen, in der Nacht zum Dienstag jedoch für beendet erklärt. In einer emotionalen Ansprache an das Volk begründete er dies damit, dass sein Versuch zur Entschärfung der Lage von den Aufständischen ausgenutzt worden sei, um sich neu zu gruppieren und mit zusätzlichen Waffen aus Russland zu versorgen.
«Die Entscheidung, die Waffenruhe nicht zu verlängern, ist unsere Antwort an Terroristen, Militante und marodierende Banden», sagte Poroschenko. Die Chance auf die Umsetzung seines Friedensplans sei durch kriminelle Handlungen der prorussischen Separatisten zunichtegemacht worden.
Innenpolitischer Druck
Die Aufständischen wiesen die Vorwürfe zurück. Die «Volkswehr» habe die Waffenruhe eingehalten, während das Militär «mehr als 200 Mal» gefeuert habe, sagte der Separatistenanführer Konstantin Knyrik.
Die Waffenruhe war sehr brüchig gewesen. Während der zehntägigen Feuerpause starben 27 Soldaten. Poroschenko, der erst drei Wochen im Amt ist, stand deshalb auch innenpolitisch unter Druck. Denn in der Ukraine wächst der Groll über Verluste des Militärs. Viele Politiker fordern ein entschiedeneres militärisches Vorgehen.
Trotzdem zeigte sich Poroschenko bereit, «jederzeit» zur Waffenruhe zurückzukehren, wenn alle Parteien «die wesentlichen Punkte» des nach wie vor gültigen Friedensplans beachteten. Dazu gehöre die Freilassung aller Geiseln und eine effektive Grenzkontrolle.
Kritik aus Russland
Russland kritisierte das Aufkündigen der Waffenruhe als Rückschlag für die Friedensbemühungen. Präsident Wladimir Putin sagte in einer Rede vor Diplomaten in Moskau, Poroschenko trage ab sofort «die vollständige Verantwortung» für neue Gewalt in der Ostukraine.
Das russische Aussenministerium forderte Kiew auf, alle «Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung» zu stoppen und nicht länger «Ortschaften und Dörfer zu bombardieren». An die Adresse des Westens erging die Mahnung, er müsse «aufhören, die Ukraine als Feilschobjekt für seine geopolitischen Spiele zu benutzen».
Sanktionen verschoben
Der Westen seinerseits wirft Putin vor, die Separatisten zu unterstützen und die Ukraine destabilisieren zu wollen. Doch trotz der jüngsten Krisenverschärfung zögert die EU mit neuen Sanktionen gegen Russland. Eigentlich hatte sie Moskau eine Frist bis Montag gesetzt, um offenen Fragen zu klären – und mit neuen Strafmassnahmen gedroht.
Nach Angaben aus Diplomatenkreisen verzichteten die EU-Regierungen am Dienstag aber darauf, sofort neue Sanktionen gegen Russland zu beschliessen. Bei einem erneuten Sondertreffen wollen die EU-Botschafter voraussichtlich am kommenden Montag entscheiden, ob weitere Strafmassnahmen verhängt werden.