Gemeinsam gelebte Realität

Das Tinguely Museum zeigt in der neuen Ausstellung «Kienholz – Die Zeichen der Zeit» Werke und Kollaborationen aus dem Oeuvre des Amerikanischen Installations- und Objektkünstlers Edward Kienholz.

Edward Kienholz & Nancy Reddin Kienholz «The Bronze Pinball Machine with Woman Affixed Also», 1980 (Bild: Bettina Matthiessen)

Das Tinguely Museum zeigt in der neuen Ausstellung «Kienholz – Die Zeichen der Zeit» Werke und Kollaborationen aus dem Oeuvre des Amerikanischen Installations- und Objektkünstlers Edward Kienholz.

Die gemeinsamen Werke des Künstlerpaares Edward Kienholz und Nancy Reddin Kienholz entlarven den hegemonialen Blick, der einseitig, unterdrückend und machtergreifend funktioniert. Impliziert ist stets ein kritischer Kommentar zu Werk und Kontext, der die möglichen Perspektiven auf ihr Schaffen beweglich hält.

«The Bronze Pinball Machine with Woman Affixed Also» (1980) ist ein gutes Beispiel für eine solche Sichtweise: es besteht aus einem Flipperkasten mit angefügten, plastischen Frauenbeinen. Diese sind gespreizt und nackt, das Geschlecht der Frau wird offensiv zur Schau gestellt. Wer flippern will, muss sich zwischen die Beine der Frau stellen. Mit den Bewegungen, die beim Drücken der seitlichen Knöpfe entstehen, kommt Bewegung in den Körper des Spielers bzw. des Betrachters. Ist dieser männlich, kommt eine sexuelle Komponente ins Spiel, der Spieler wird zum Betörer oder Beherrscher, er bewegt seine Hüften vor und zurück. Denkt man sich aber das Szenario aus einer weiblichen Perspektive, wird schnell klar: Hier werden nicht plumpe Männerfantasien eines Künstlers oder Betrachters in Bronze gegossen oder lediglich karikiert, sondern es wird eine Art von Wahrnehmung, die Frauen und Männer teilen und immer wieder neu verhandeln müssen, ins Werk gesetzt und zur Diskussion gestellt.

Verzögerte Wahrnehmung

Zwischen Voyeurismus und brutal zur Schau gestellter Wirklichkeit changiert das Kienholz’sche Werk. Kapitalimus, Macht, Krieg, die Rolle der Medien, Rassismus – das sind die Hauptthemen, um die das Schaffen Kienholz‘ kreist. Der gesellschaftliche Blick auf Frauen in Werken wie «The Rhinestone Beaver Peep Show Tryptich» (1980) oder dem späteren Werk «The Pool Hall» (1993) hat sich seit der Zusammenarbeit des Künstlerpaares nicht aufgedrängt, sondern lediglich um eine weibliche Hand im Schaffensprozess ergänzt. Er ist eine logische Folge in der Auseinandersetzung der beiden Künstler mit gesellschaftspolitischen Themen.

Ab 1972 arbeiteten Edward und Nancy zusammen, 1982 wurde dies im Zuge der Ausstellung «The Kienholz Women» in der Zürcher Galerie Maeght offiziell von Edward Kienholz bekannt gegeben. Was für die beiden Künstler schon längst im gemeinsamen kreativen Prozess und Leben gelebt wurde, wurde mit zehn Jahren Verzögerung öffentlich gemacht. Es scheint, als hinke die gemeine Wahrnehmung oftmals der Wahrnehmung des Einzelnen und der in diesem Fall schon ein Jahrzehnt gelebten Realität hinterher.

Konzeptuelle Gedankenformen

Freundschaftlich mit Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle verbunden, fertigte Edward Kienholz ein «Conceptual tableau» – «The American Trip» (1966) – mit Jean Tinguely an. Dieses wurde aber nie ausgeführt. Diese konzeptuellen Werke sind zuallererst gedanklicher Form, erst durch die Finanzierung durch einen Sammler oder Galeristen gelangen sie zur Ausführung. So transportieren auch sie einen impliziten interessanten Kommentar zu der Idee von Kunst und der marktwirtschaftlichen Mühle, in die sich ein Kunstwerk ab dem Zeitpunkt seiner physischen Existenz begibt. Stillere Werke befassen sich mit den Ureinwohnern Nordamerikas oder der Religiosität der amerikanischen Bevölkerung. Immer sind es alte Alltagsgegenstände, Fundstücke, Schrott, Einrichtungen im Stil der 60er Jahre, ganze Schaufenster, Fassaden und Zimmer, die mit Kunstharz konserviert in den Kunstkontext überführt werden. Berührungspunkte zu Ekelwerken eines Paul McCarthy, zum Prothesenhaften eines Robert Gober oder zur Sammellust eines Thomas Hirschhorn sind zu finden. Die im alltäglichen Leben verhaftete und anti-elitäre Art der Installationen und Objekte laufen aber jeglicher kunsthistorischen Ordnungswut zuwider.

Leider lässt sich der Flipperkasten aus mechanischen Gründen nicht mehr bedienen, er ist defekt. Das mindert aber nicht die Wirkung des Werks: katharsisch und klärend wirkt es auf platte Interpretationsansätze und spannt den subjektiven Zugang zu ganzheitlicher Offenheit gegenüber jedem einzelnen Werk der Ausstellung.

 

  • Tinguely Museum, Paul Sacher-Anlage 1, 22. Februar bis 13. Mai, jeweils Di – Sa, 11.00 – 18.00 Uhr.
  • «Kienholz – Die Zeichen der Zeit»-Ausstellungseröffnung am 21. Februar, 18. 30 Uhr, Apéro, die Künstlerin Nancy Reddin ist anwesend.

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