Der Kanton Genf zieht seine Lehren aus dem Mord an einer Sozialtherapeutin im September. Die Regierung will eine Reihe von Reformen anpacken, die vom externen Experten Bernard Ziegler empfohlen wurden. Dieser legte den Schlussbericht der Administrativuntersuchung vor.
Die Sozialtherapeutin war am 12. September 2013 bei einem begleiteten Freigang getötet worden. Der mutmassliche Täter sass wegen mehrfacher Vergewaltigung in dem auf Resozialisierung spezialisierten Zentrum «La Pâquerette» in Genf ein.
Er wurde nach viertägiger Flucht an der deutsch-polnischen Grenze gefasst und an die Schweiz ausgeliefert. Das Tötungsdelikt führte schweizweit zu einer Debatte über Strafvollzug.
Bei der Vorstellung des ersten Berichts von Ziegler Anfang Oktober räumte der Kanton Genf das Versagen des Staates ein und entschuldigte sich. Der am Mittwoch vorgestellte Schlussbericht drehte sich jedoch weniger um das Delikt, als um Massnahmen, damit sich ein derartiges Verbrechen nicht wiederholt.
Der Zugang zu Soziotherapie im Gefängnis müsse künftig an die Bedingung geknüpft werden, dass das Arztgeheimnis aufgehoben werde, sagte Bernard Ziegler vor den Medien in Genf. Der Austausch zwischen Justiz, Verwaltung und Ärzten sei notwendig. Dazu müssten jedoch die gesetzlichen Grundlagen im Kanton Genf angepasst werden.
Einheitliche Beurteilung der Gefährlichkeit
Zudem müsse wieder Ordnung herrschen bei der Bewilligung von Freigängen. Das Bewilligungsverfahren war bisher – zum Erstaunen des externen Experten – nirgends schriftlich festgehalten worden.
Auch die Beurteilung der Gefährlichkeit der Gefangenen soll einheitlich geregelt werden und dürfe nicht vom «Instinkt» der Therapeuten abhängen. Künftig soll eine Bewilligung des Amtes für Strafvollzug des Kantons Genf nicht mehr reichen für einen Freigang.
Zusätzlich müsse die Gefängnisleitung eine Bewilligung ausstellen. Diese Praxis sei in Genf nicht mehr gebräuchlich gewesen, hielt Ziegler fest. Zugleich soll systematisch die Kommission zur Evaluation der Gefährlichkeit von Straftätern aufgerufen werden.
Diese besteht aus je einem Vertreter der Staatsanwaltschaft, des Amtes für Strafvollzug und der Psychiatrie. Nach Ansicht von Bernard Ziegler soll der Staatsanwaltschaft eine wichtigere Rolle in der Kommission zukommen.
Genf hält an Freigängen fest
An den Freigängen hielten am Mittwoch die Genfer Regierung und Ziegler grundsätzlich fest. Es müssten aber strenge Regeln gelten, sagte Ziegler. Der Kanton müsse vor allem für die Soziotherapie für gefährliche Häftlinge ein neues Reglement ausarbeiten.
In Genf übernimmt ab April Curabilis die Aufgabe der Resozialisierung von gefährlichen Straftätern. Die in die Kritik geratene bisherige Anstalt «La Pâquerette» wurde Mitte Januar geschlossen.
In Curabilis müssen laut Ziegler die gleichen Regeln zu Internetzugang, Telefon oder Durchsuchungen der Zellen gelten wie im Gefängnis.
Der Genfer Staatsrat werde bereits im kommenden Monat Reformen vorlegen, sagte am Mittwoch Pierre Maudet (FDP), Vorsteher des Departements für Sicherheit und Wirtschaft. Das Dossier gehöre zu den Prioritäten der Regierung.
Die Ergebnisse einer weiteren Adminstrativuntersuchung der Genfer Universitätsspitälern (HUG) soll bis im April veröffentlicht werden. Das Zentrum «La Pâquerette» war zum Zeitpunkt des Tötungsdeliktes den HUG unterstellt.
Auswirkungen in Waadt und Freiburg
Nach dem Tötungsdelikt an der Genfer Sozialtherapeutin hatten auch andere Westschweizer Kantone die Schraube im Strafvollzug angezogen. Waadt strich für drei Monate sämtliche Freigänge. Mitte Dezember wurde die Massnahme wieder aufgehoben.
Der Kanton Freiburg ordnete an, dass Häftlinge bei Freigängen nicht nur von einer Person begleitet werden dürfen. Diese Massnahme wird weitergeführt. Diese Regel gilt auch in der Waadt.