Nach dem Mord an einer Sozialtherapeutin in Genf schliesst die Kantonsregierung Lücken im Strafvollzug. In erster Linie soll das Arztgeheimnis bei der Beurteilung der Gefährlichkeit von Häftlingen aufgehoben werden.
Die neue Verordnung verpflichtet im Strafvollzug tätige Psychiater, Ärzte und Therapeuten dazu, sämtliche notwendigen Informationen zur Beurteilung der Gefährlichkeit eines Häftlings weiterzugeben.
„Der Schutz der Gesellschaft hat Vorrang gegenüber den persönlichen Interessen des Verurteilten“, sagte am Mittwoch Staatsrat Mauro Poggia (MCG) vor den Medien in Genf. Die Massnahme erlaube Therapeuten künftig, sich zu informieren, ohne sich Sanktionen auszusetzen.
Über diese Gesetzesänderung muss noch das Genfer Kantonsparlament entscheiden. Genf kommt damit einer Empfehlung der Konferenz der lateinischen Justiz- und Polizeidirektoren nach.
Die Genfer Regierung verabschiedete zudem das Reglement für das neue Zentrum für Soziotherapie. Das Zentrum soll ab April die Aufgaben des auf Resozialisierung spezialisierten Zentrums La Pâquerette übernehmen.
Häftlinge müssen sich bewerben
In La Pâquerette war der mutmassliche Mörder einer Sozialtherapeutin inhaftiert, die am 12. September 2013 bei einem begleiteten Freigang getötet wurde. Das Zentrum wurde Mitte Januar geschlossen.
Zum neuen Zentrum für Soziotherapie erhalten nur Häftling Zugang, die sich aus freiem Willen Hilfe suchen. Die Häftlinge werden klar ihren Willen auf Begleitung hinsichtlich der Rückkehr in die Gesellschaft ausdrücken, wie Mauro Poggia sagte.
Inhaftierte müssen künftig einen Bewerbungsbrief schreiben. Dies gilt auch für Häftlinge, die früher in La Pâquerette untergebracht waren und nun wieder im Gefängnis Champ-Dollon einsitzen. „Wir fangen wieder bei Null an“, hielt Poggia fest.
Im Gegensatz zu La Pâquerette, wo es keine Zeitlimiten gab, wird die soziotherapeutische Begleitung neu auf zwei Jahre beschränkt. Das neue Zentrum für Soziotherapie öffnet seine Türen zur gleichen Zeit wie das auf gefährliche Straftäter spezialisierte Zentrum Curabilis.
Der Genfer Staatsrat verabschiedete bei seiner Sitzung vom Mittwoch auch für Curabilis ein neues Reglement. Dieses Zentrum wird im April vom Kanton Genf im Auftrag des Konkordats der lateinischen Kantone – der Westschweiz sowie dem Tessin – eröffnet.
Freigänge wieder möglich
Der Kanton Genf zieht zudem die Lehren aus der Administrativuntersuchung nach dem Tötungsdelikt an der Sozialtherapeutin. Dazu wird das Reglement für den Strafvollzug angepasst.
Dieses Reglement sei in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft ausgearbeitet worden, sagte der Genfer Sicherheitsdirektor Pierre Maudet. Dabei seien strikt die Empfehlungen des externen Experten Bernard Ziegler umgesetzt worden.
Der Genfer Sicherheitsdirektor kündigte zugleich an, dass das unmittelbar nach dem Tötungsdelikt angeordnete Regime bezüglich Freigängen wieder aufgehoben werde. Genf hatte nach dem Mord sämtliche Freigänge für gefährliche Straftäter gestrichen.