Gericht verurteilt Berner Heiler zu fast 13 Jahren Freiheitsstrafe

Der «Heiler von Bern» ist zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden. Das Regionalgericht Bern-Mittelland sah es als erwiesen an, dass der Mann mindestens 16 Menschen vorsätzlich mit dem HI-Virus infiziert hat.

Vor einer Woche hatte sich der Heiler in einem Wohnhaus in Bern verschanzt. Die Polizei konnte ihn überwältigen. (Bild: sda)

Der «Heiler von Bern» ist zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden. Das Regionalgericht Bern-Mittelland sah es als erwiesen an, dass der Mann mindestens 16 Menschen vorsätzlich mit dem HI-Virus infiziert hat.

Nach einem gut zweiwöchigen Indizienprozess sprach ihn das Gericht der schweren Körperverletzung und des Verbreitens menschlicher Krankheiten für schuldig. Die Virenstamm-Analyse der Opfer und die Aussagen aller Beteiligten seien wie Puzzle-Teile, die sich zu einem schlüssigen Bild zusammenfügten, befand das Gericht.

Der 54-jährige Musiklehrer und selbsternannte Heiler hatte stets seine Unschuld beteuert. Das Urteil nahm er praktisch ohne Regung hin. «Er ist sehr niedergeschlagen», sagte sein Verteidiger, der auf Freispruch «in dubio pro reo» plädiert hatte.

Obwohl ein Weiterzug des Urteils im Raum steht, bleibt der Mann hinter Gitter. Denn das Gericht befürchtet, dass sich der schweizerisch-italienische Doppelbürger sonst der Strafe entziehen könnte. Der Mann wurde in Sicherheitshaft versetzt.

Ankläger zufrieden

In der Urteilsbegründung folgte das Gericht im Wesentlichen der Argumentation von Staatsanwalt Hermann Fleischhackl. Dieser äusserte Zufriedenheit, wenngleich er 15 Jahre gefordert hatte. Über einen Weiterzug will er erst nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung entscheiden.

Den 13 Privatklägern unter den Opfern muss der «Heiler» eine Genugtuung von je 100’000 Franken zahlen. Alle 16 Infizierte können zudem auf zivilem Weg noch Schadenersatz geltend machen. Die Verfahrenskosten von 478’000 Franken muss ebenfalls der Verurteilte tragen.

Gerichtspräsident Urs Herren sprach von einem «skrupellosen, hinterhältigen, sinnlosen und menschenverachtenden Tatvorgehen». 16 Menschen seien durch das HI-Virus lebenslang geschädigt, müssten viele Medikamente nehmen, hätten zahlreiche Belastungen im Privaten und im Berufsleben zu ertragen.

Opfer-Aussagen «glaubhaft»

Da es keine festen Beweise für die Schuld des «Heilers» gebe, sei das Gericht unter anderem darauf angewiesen, die Glaubhaftigkeit seiner Aussagen und diejenigen der 16 Infizierten zu beurteilen. Die allermeisten Aussagen der Opfer seien im Verlauf der Ermittlungen «konstant» geblieben, stellte Herren fest.

Manche Opfer sind demnach im Rahmen einer angeblichen «Behandlung» gestochen worden, andere unversehens von hinten. Wieder andere gingen davon aus, nach einem K.O.-Drink infiziert worden zu sein. Alle waren mit dem «Heiler» allein in einem Raum.

Angesichts der Vielzahl übereinstimmender Detailschilderungen sei es unwahrscheinlich, dass Absprachen getroffen worden seien. Eine Verschwörung wäre aufgeflogen, befand das Gericht. Hinzu komme, dass es sich bei den Opfern um eine heterogene Gruppe junger und älterer Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten handle.

Der Angeklagte habe seinerseits die Taten nicht nur bestritten. Er sei sogar zum Gegenangriff übergegangen, indem er den Opfern ungeschützten Sexualverkehr und intravenösen Drogenkonsum unterstellt habe. Diese Behauptungen hätten sich als «absurd» erwiesen, stellte Herren fest.

Verseuchtes Blut von Schüler

Das verseuchte Blut habe sich der «Heiler» offensichtlich von einem seiner Musikschüler besorgt, der schon HIV-positiv gewesen sei und dem er eine mögliche Heilung vorgegaukelt habe. Infiziert habe er seine Opfer dann sehr wahrscheinlich mit einer Spritze.

Dafür sprächen die Erkenntnisse der phylogenetischen Analyse. Alle 16 Opfer müssen sich demnach zwischen 2001 und 2005 an derselben Quelle infiziert haben, und zwar mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit via eine Spritze, die ihnen gezielt verabreicht wurde.

Offen bleibe das Motiv des selber HIV-negativen Mannes, räumte das Gericht ein. Denkbar seien das Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung und nach Macht, Allmachtsphantasien oder im Fall von Ex-Freundinnen auch Rache. Ein uneigennütziges Motiv falle weg, «sonst hätte er nicht gesunde Menschen krank gemacht».

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