Das Inventar des kulinarischen Erbes der Schweiz zeigt nicht nur den Fundus an einheimischen Köstlichkeiten, sondern liefert auch jede Menge Stoff für Anekdoten.
Historiker kümmern sich in der Regel um das grosse politische Weltgeschehen und nicht um das, was bei den Leuten auf den Tisch kommt. Dabei hängt das eine sehr wohl mit dem anderen zusammen. So ist der Menüplan während einer grossen Wirtschaftskrise oder eines Kriegs ein ganz anderer als in Zeiten des Wohlstands.
Es war denn auch kein Historiker, sondern ein Theologe und Kommunist, der ein Inventar des kulinarischen Erbes der Schweiz initiierte: Der Waadtländer alt Nationalrat Josef Zisyadis, Mitglied der PdA und bekannt als Feinschmecker. Er reichte im Jahr 2000 ein Postulat ein, das den Bundesrat aufforderte, die regionalen schweizerischen Spezialitäten in einem Katalog zu erfassen. Damit, so Zisyadis’ Begründung, diese nicht vergessen gingen und der Geschmackssinn der Bevölkerung nicht verkümmere. Die Idee fand Anklang und der Bundesrat erklärte sich bereit, das Projekt zu unterstützen, sofern eine private Trägerschaft die Verantwortung übernähme.
2004 startete der von Bund, Kantonen und Privaten unterstützte Verein «Kulinarisches Erbe» die Arbeit. Eine extra zusammengestellte Truppe ging auf die Suche nach traditionellen Produkten, die seit mindestens 40 Jahren hergestellt werden und die eine besondere Verbindung zur Schweiz haben. Vier Jahre später konnte der Verein der Öffentlichkeit eine Datenbank präsentieren, auf der über 400 Speisen und Getränke nach Herkunftsregion aufgeführt sind. Eine Datenbank kann allerdings ebenso wie in Kellern verschimmelnde Archivschachteln zum «Datenfriedhof» werden, wenn man nichts damit anstellt.
Schleckmäuler, Schluckspechte
Doch genau das soll mit dem kulinarischen Erbe nicht passieren, schliesslich ging es bei der ganzen Sache um das Nicht-in-Vergessenheit-geraten. Einer, der von Anfang bei diesem Projekt mitgearbeitet hat, ist Paul Imhof, Journalist und Verfasser mehrerer Bücher zu kulinarischen Themen.
Er hat damit begonnen, uns diesen in der Datenbank gesammelten Fundus an Schweizer Spezialitäten in Form von Geschichten näherzubringen. In Leinen gebunden bringt sie der Basler Echtzeit-Verlag in insgesamt fünf Bänden unter die Leserschaft. Kunstvoll bebildert von Hans-Jörg Walter (ja, unserem Hans-Jörg Walter, genannt Fonzi), Markus Roost und Roland Hausheer sowie ergänzt mit Rezepten von Marianne Kaltenbach.
Der erste Band ist den Spezialitäten aus den Kantonen Aargau, Luzern, Ob- und Nidwalden, Schwyz, Zürich und Zug gewidmet. Nun ist der zweite erschienen. Darin stellt Imhof insgesamt 96 Produkte aus den Kantonen Bern, Jura, Solothurn, Basel-Landschaft und Basel-Stadt vor. Keine Frage, dass hier vor allem interessiert, welches kulinarische Erbe die beiden Basel vorzuweisen haben. Und worin sie sich unterscheiden.
Bei einer ersten Durchsicht könnte man zum Schluss kommen, die Städter seien Schleckmäuler, die Landschäftler Schluckspechte. Mässmogge, Magenbrot und andere Süsswaren in der Stadt, Schnäpse und Liköre in der Landschaft. Aber dieser Eindruck ist ein oberflächlicher. Und zudem, wie wir dann in den Geschichten über die einzelnen Produkte von Imhof erfahren, falsch.
Reiches Basel
So ist das «Burgermeisterli», ein zweifach gebrannter Kräuterschnaps, zwar dem Baselbiet zugeordnet, weil er gemäss Überlieferung 1783 erstmals in Pratteln auf dem Landgut Mayenfels gebrannt worden sei. Dieses Landgut gehörte jedoch dem damaligen Basler Bürgermeister Peter Burckhardt, der den Schnaps mit dem verharmlosenden Diminutiv im Namen erfunden habe.
Imhof gibt zu bedenken, dass Stadt und Land bis 1833 ein Kanton gewesen sind und deshalb manche der frühen Produkte nicht eindeutig einem der beiden Halbkantone zugeordnet werden können. «Die Stadt war reich und hatte als Handelsstadt früh Zugang zu fremden Gewürzen, vom Land wiederum kamen Angestellte in die Stadt, die ihrerseits die städtischen Küchen beeinflussten.»
Bei einigen Produkten lässt sich die kantonale Herkunft auch nicht immer präzise bestimmen, weil sie über die Regionen hinaus oder sogar in der ganzen Schweiz bekannt sind. In diesen Fällen hat sich der Autor verschiedener Kriterien bedient: nach ersten Erwähnungen, nach Produktionsgebieten, nach besonderen Aspekten oder aber auch, wie er sagt, «um den einen oder anderen Kanton kulinarisch etwas aufzurüsten».
Das beste Cordon bleu
Letzteres wird wohl auch dazu beigetragen haben, dass er das Cordon bleu, bei dem nicht einmal klar ist, ob es überhaupt eine schweizerische Erfindung ist, dem Baselbiet «geschenkt» hat. Selbstverständlich liefert Imhof in der Geschichte um das gefüllte und panierte Schnitzel einen triftigen Grund dafür: Das Urteil eines Restaurantkritikers, der im Baselbiet das «beste Cordon bleu der Alpennordseite» gegessen haben soll. In welchem Restaurant, bleibt ein Geheimnis. Es spielt eh keine Rolle, denn laut Imhof existiert es nicht mehr.
Unzweifelhaft ist die basellandschaftliche Herkunft hingegen beim Cola-Fröschli, dem Schleckzeug, das seit ewigen Zeiten Kinder glücklich macht. Seit 1938, wie der Leser erfährt. Seit damals wird das Cola-Fröschli von einer Süsswarenfirma in Münchenstein hergestellt, auch die Rezeptur des Aromas stammt von ihr. Und offenbar ist der Geschmack noch derselbe wie vor 75 Jahren – nur kleiner geworden seien sie, schreibt Imhof.
Apropos Grösse: Im Kapitel über den Stadtkanton erfährt man nicht nur, weshalb der berühmte Basler Mässmogge ein «Mogge» ist und kein «Dääfi», sondern auch, dass er zwei Zuckersiedern aus Frankreich zu verdanken ist. Mehr sei hier nicht verraten.
Die Geschichten sind spannend und unterhaltsam geschrieben und, um zurück zu den Historikern zu kommen, man erfährt über die Ess- und Trinkkultur der Menschen so einiges – auch über die Eigenarten der verschiedenen Regionen in der Schweiz und wie sie sich entwickelt haben. Vielleicht sogar mehr als in manchem Geschichtsbuch.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 10.05.13