«Get» – Scheiden tut weh

Israels Oscar-Kandidat für den besten fremdsprachigen Film ist ein Dokument feinster Dialogkunst von Schauspielern, und ein leidenschaftlicher Beitrag zur Gleichberechtigung und – zur Säkularisierung. Viviane Amsalem will die Scheidung. Ihr Mann Elisha will sie nicht. Aber ein Rabbiner-Gericht kann den Scheidungsbrief nur geben, wenn der Mann das auch will. Mit argumentativer Schärfe muss also die […]

Israels Oscar-Kandidat für den besten fremdsprachigen Film ist ein Dokument feinster Dialogkunst von Schauspielern, und ein leidenschaftlicher Beitrag zur Gleichberechtigung und – zur Säkularisierung.

Viviane Amsalem will die Scheidung. Ihr Mann Elisha will sie nicht. Aber ein Rabbiner-Gericht kann den Scheidungsbrief nur geben, wenn der Mann das auch will. Mit argumentativer Schärfe muss also die Gattin (sie ist die einzige Frau im Gerichtsraum) ihrem Mann so lange ihren Scheidungswunsch begründen, bis der Mann zustimmt – die anderen Männer im Rabbi-Gericht auch.

Damit führt uns «Get» an Grenzen, die unsichtbar zwischen Ehepartnern verlaufen können: Die zwischen Staat und Religion. «Get» ist das filmische Reenactment eines Rabbiner-Gerichtsprotokolls. Israels Oscar-Kandidat für den besten fremdsprachigen Film ist ein Dokument feinster Dialogkunst von Schauspielern, und ein leidenschaftlicher Beitrag zur Gleichberechtigung vor dem Gesetz und – zur Säkularisierung.

Religion ist undemokratisch

«Get» macht diese Grenzbegehung mit List, und Biss. In säkularisierten Gesellschaften, in denen demokratische Verfassung über den Gesetzen der Religion steht, kann eine von (meist Männern) der Kirche  geschlossene Ehe von den der weltlichen Gerichte (in denen auch Frauen amten) getrennt werden. Religion ist eben undemokratisch. Weltliche Richterinnen können vom Volk gewählt werden. Religiöse Richter nicht.

«Get» führt uns vor Augen, was das heisst, wenn die grosse Errungenschaft der französischen Revolution, die Trennung von Staat und Kirche, nicht in der Verfassung garantiert ist. Da kann es schwierig werden, einen Ehebund aufzulösen, wenn die Religiösen Gesetze (meist von Männern verwaltet) einer Religionsgemeinschaft das verhindern, wie das im Iran geschieht, in Saudi-Arabien, in der Türkei, in …

Viviane will sich von Elisha scheiden lassen. Doch Elisha will der Scheidung nicht zustimmen. In Israel, wo Viviane und Elisha leben, kann eine jüdisch-orthodoxe Ehe aufgelöst werden, wenn der Mann zustimmt. In den Räumen des Rabbinergerichts (aus lauter Männern bestehend) scheint der Prozess kein Ende nehmen zu wollen, da der Mann nicht zustimmt. Der Scheidungsbrief (Get) darf vom Rabbinergericht aber nur ausgehändigt werden, wenn der Mann einverstanden ist. Der Mann hat das Sagen, wie es alttestamentarisch gemeint ist,wenn da geschreibensteht: Das Weib sei dem Manne untertan. Elisha will aber nicht zustimmen.

Der lange Atem des Widserstandes gegen religiösen Unterdrückung

Der Film «Get» (Scheidungsbrief) ist ein über weite Strecken düsteres Dokument einer Unterdrückung. Dennoch,  wagt man zu denken, führen diese Schauspieler des Einundzwanzigsten Jahrhunderts den Diskurs aus tiefer Vergangenheit so heiter und leicht, als müssten sie eine scholastisches Spiel der Jesuiten glaubhaft machen. Es liegt etwas faszinierend Historisierendes über den Dialogen. Mit feinster Klinge werden die Argumente gewogen. Brilliant werden die Haare gespalten. Aus dem Ernst der Lage wird immer wieder ein Witz. Als spräche Sholem Alejchem aus dem feudalistischen Russland des neunzehnten Jahrhunderts zu uns Bürger des Einundzwanzigsten..

«Get» führt in höchst zuträglicher Kunstform eine zivilisierte Auseinandersetzung vor, über ein Gesetz das noch aus den Anfängen der Zivilisation stammt. Aber «Get» führt uns auch eine viel weitergehende Frage brilliant vor Augen:

Wieviel Anstrengungen wird es noch kosten, die Gleichberechtigung, die zum Bürgerrecht in demokratischen Verfassungen gehört, auch den «Pfaffen abzuverlangen», wie es einst die Republikaner forderten, als sie die Säkularisation der christlichen Kirchen durchsetzten. Letztlich führt uns der Film auf listige Weise vor Augen, dass die Grenze der Debatte um die Staats-Religionen nicht zwischen der Katholischen Kirche und fanatischen Christen, oder dem Islam und dem Islamismus verläuft, sondern zwischen den Religionen und den Staaten.

Wo die Gesetze der Religion über jenen der Republik stehen, endet die Demokratie.

In den republikanischen Demokratien gelten die Vorrechte der Kirche als abgeschafft. Die Ziele der Französische Revolution sind aber noch nicht in allen Demokratien angekommen (auch die Eidgenossenschaft kennt noch Landeskirchen…). Gleichberechtigung (Égalité) kann auch von der katholischen Kirche (die aus Männern besteht) verweigert werden. Oder eine Scheidung (die von der katholischen Kirche nach wie vor verweigert wird).

«Get» führt mit seiner Diskussion, die sich scheinbar am Rande zur Zeit aktuellen Religionsdebatten abspielt, aber mitten in den Kern der Auseinandersetzung mit den Religionen zielt: Nicht die Abgrenzung der Orthodoxen von den Fortschrittlichen ist in diesem Diskurs entscheidend. Die Trennung von Kirche und Staat ist die Kernfrage.

Sobald Kirchen (und ihre Männer) nicht nur Meinungsmacher sondern auch Entscheidungsträger im Staat und Vertreter seiner Legislative sein dürfen, ist das das Ende jeder Demokratie. Diese Kernfrage lässt sich auf jede Staats-Religion anwenden.

«Get» führt vergnüglich vor Augen, wieviel die Frauen in den Ländern mit säkularisierten Verfassungen schon erreicht haben. Das lässt sich an der Kraft messen, die Viviane braucht, um Ihre Scheidung zu kriegen.

 

 

Nächster Artikel