Der für nachhaltiges Bauen bekannte Architekt Karl Viridén realisiert mitten im Zürcher Kreis 6 ein «Leuchtturmprojekt», das bahnbrechend sein könnte für energetische Sanierungen von Altbauten: Eine Glasfassade produziert mehr Energie als die Bewohner verbrauchen.
Sanierungen mit glänzender Energiebilanz sind die Spezialität von Viridén. Seit 1990 macht das gleichnamige Zürcher Architekturbüro aus Altbauten Passivhäuser und wurde dafür mehrfach – unter anderem mit dem europäischen Solarpreis – ausgezeichnet.
Doch das reicht mit Blick auf die 2000-Watt-Gesellschaft nicht mehr. Ein Haus sollte heute auch Energie produzieren, sagte Viridén am Dienstag bei der Besichtigung des umgebauten Mehrfamilienhauses in der Nähe des Schaffhauserplatzes.
Bei der Sanierung des Altbaus aus dem Jahre 1982 wurde eine Glasfassade erstellt, die nebenher Energie produziert. Dafür wurde erstmals ein System verwendet, das Energie in Form von Solarstrom erzeugt und das zudem optimal in das Gebäude und die innerstädtische Siedlungsumgebung integrierbar ist.
Als «Kernstück der Schweizer Premiere» bezeichnete Viridén das Photovoltaikmodul mit matter Oberfläche, dessen Farbe unterschiedlich gewählt werden kann. Zwar hebt sich das Material beim Eckhaus im Kreis 6 von den benachbarten, verputzten Hauswänden deutlich ab. Doch mit dem dezenten, grau-grünen Farbton passt sich die erneuerte Fassade dennoch optisch ansprechend in die Umgebung ein.
Mehr Strom als verbraucht werden kann
Insgesamt erzeugen Fassaden- und Dachflächen so viel Solarstrom, dass die jährliche Energiebilanz für Raumklima, Beleuchtung und weitere Anwendungen in den 30 Wohn- und zwei Büroeinheiten positiv ausfällt und knapp ein Fünftel der Stromproduktion als Überschuss in das Stromnetz des Elektrizitätswerks der Stadt Zürich (ewz) eingespeist werden kann.
Die erneuerte Gebäudehülle produziert aber nicht nur Strom. Zusammen mit einer optimalen Wärmedämmung und der Wärmeversorgung mit einer Wärmepumpe kann der Heizenergiebedarf um 88 Prozent reduziert werden.
Ein weiteres Ziel des Leuchtturmprojektes sei die maximale Eigenbedarfsabdeckung, sagte Viridén. Möglichst viel des produzierten Stroms soll zeitnah vor Ort genutzt werden, entweder direkt oder nach einer Zwischenspeicherung. Ab 2018 wird deshalb ein Stromspeichersystem mit Batterie eingebaut.
Das von einem privaten Konsortium realisierte Vorhaben ist ein öffentlich gefördertes Pilot- und Demonstrationsprojekt. Das Bundesamt für Energie (BFE) hat es in sein Leuchtturmprogramm aufgenommen, mit dem die marktnahe Entwicklung von innovativen Technologien und Lösungen im Cleantech-Bereich vorangetrieben werden soll.
Gebäude mit Vorbildcharakter
BFE-Direktor Walter Steinmann bezeichnete das Zürcher Projekt als «Haus der Zukunft». Es habe dank beispielhaftem Gesamtkonzept Vorbildfunktion. Ob sich Solarstrom produzierende Fassaden bei Altbausanierungen durchsetzen können, sei vom Markt abhängig.
Unterstützt wird das Sanierungsprojekt auch von Kanton und Stadt Zürich. Das ewz wolle mit der Beteiligung weitere Erkenntnisse gewinnen, wie der Eigenverbrauch von Energie an Ort und Stelle möglichst zeitgleich gelingen könne, sagte der stellvertretende Direktor Benedikt Löpfe. Das Projekt beinhalte viele Herausforderungen, aber auch Chancen sowohl für die Kunden als auch für das ewz.
Das Projekt wird einem mehrjährigen wissenschaftlichen Praxistest unterzogen. Dieser soll aufzeigen, wie ein urbaner Gebäudebestand davon profitieren kann. Nach dem Bezug der Wohnungen Ende September werden Haustechnik und Messinstallationen justiert, so dass der PlusEnergieBau spätestens Ende 2016 seinem Namen gerecht werden kann. Ab 2017 wird dann eine zweijährige Messperiode gestartet.