Wo könnte die Sonne besser untersucht werden als in der Sonnenstube der Schweiz? Im Tessin befinden sich gleich zwei Forschungseinrichtungen, welche die Aktivität unseres Zentralgestirns untersuchen.
An den sonnenverwöhnten Hängen oberhalb von Locarno sind zwei international bedeutende Forschungseinrichtungen angesiedelt, die sich der Sonne widmen. Sie sind Teil eines länderübergreifenden Netzwerks zur Erforschung des aus Erdensicht wichtigsten Sterns.
Seine Forschungsstelle sei «sehr gut in Richtung Süden ausgerichtet» und eigne sich deshalb optimal für die Beobachtung der Sonne, sagt Marco Cagnotti gegenüber der Nachrichtenagentur sda. Er ist Direktor des Sonnenobservatoriums Specola Solare.
Es untersucht seit 1957 die Sonnenflecken und ermittelt die Aktivität der Sonne unter Angabe der sogenannten «Wolfschen Relativzahl», die auf den Schweizer Rudolf Wolf zurückgeht. Der Astronomieprofessor an der ETH Zürich lebte im 19. Jahrhundert.
Gründungsvater der Specola war Max Waldmeier, der sich auf Wolf bei der Sonnenfleckzählung berief, und der nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls Professor für Astronomie an der ETH war.
Aufzeichnungen von Hand
In dieser Traditionslinie sieht sich auch Cagnotti, dem es mit seinen Unterstützern gelingt, pro Jahr durchschnittlich 290 bis 300 Aufzeichnungen von Sonnenflecken vorzunehmen. Dies geschehe noch täglich per Hand und sei nur möglich, wenn die Sonne scheine oder zumindest eine Aufhellung am Tag stark genug gewesen sei, um eine Beobachtung zu machen.
Selbst wenn es theoretisch möglich wäre, die Aufzeichnungen von einem Computer durchführen zu lassen, wären die Ergebnisse trotzdem «inkohärent» mit den Beobachtungen aus den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten, sagt Cagnotti. Auf der Homepage der Specola findet sich ein Archiv manueller Aufzeichnungen, das bis 1981 zurückreicht.
Der Astronom Wolf habe seinerseits schon im 19. Jahrhundert Sonnenfleckenforschung betrieben und Aufzeichnungen, die bis ins 17. Jahrhundert zurückgingen, methodisch geordnet. «Keine andere Naturwissenschaft kann von sich behaupten, einen 400-jährigen Beobachtungszeitraum vorweisen zu können», sagt Cagnotti stolz.
Vom Tessin nach Brüssel
Die Messwerte der Specola werden regelmässig an das Solar Influences Data Center (S.I.D.C.) weitergeleitet, das seinen Hauptsitz in Brüssel hat. Es gebe rund 80 Stationen, die ihre Beobachtungen ans S.I.D.C. übermittelten, so der Direktor. Doch Locarno gelte als Referenz: «Wenn es Zweifel gibt, sind die Daten der Specola ausschlaggebend.»
Die gesamten Beobachtungen dienen laut Cagnotti unter anderem dazu, die Schwankungen der Sonnenaktivität zu messen. Erst kürzlich hatte eine vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderte Studie erstmals den Einfluss der Sonnenaktivität auf natürliche Klimaschwankungen beziffert.
Demnach könnte eine schwächere Sonne die menschgemachte Erderwärmung um ein halbes Grad reduzieren, wenn das Zentralgestirn in einigen Jahrzehnten sein nächstes Aktivitätsminimum erreicht. Das haben Modellrechnungen der Forschenden des Physikalisch-Meteorologischen Observatoriums Davos (PMOD), der Eawag, der ETH Zürich und der Uni Bern ergeben.
IRSOL: Ein Gewächs aus Göttingen
Wenn die Specola Solare mit ihren Handzeichnungen «old school» ist, dann ist die Arbeit am IRSOL «Rocket Science». Das Istituto Ricerche Solari Locarno liegt etwas oberhalb der Specola und beherbergt ein Team von rund einem Dutzend Forschern. Sie haben sich auf die Sonnenphysik spezialisiert.
Ursprünglich wurde das IRSOL von der deutschen Universität Göttingen gegründet und von ihr auch bis 1984 betrieben. In den 1990er Jahren gab es dann Partnerschaften mit verschiedenen Universitäten, insbesondere mit der ETH Zürich. Heute ist das IRSOL mit der Universität der italienischen Schweiz (USI) assoziiert – seit 2013 fördert der Bund das Institut.
Es hat sich zum Ziel gesetzt, die Sonnenzyklen und die Begebenheiten in der Sonnenatmosphäre zu untersuchen – dabei spielen Magnetismus und die beteiligten physikalischen Prozesse eine Rolle.
Zentral für die Beobachtungen am IRSOL sei das ZIMPOL getaufte Polarimeter, erklärt Institutsdirektor Michele Bianda der sda. Dieses Gerät sei ursprünglich an der ETH Zürich gebaut und dann in Zusammenarbeit mit der Tessiner Fachhochschule SUPSI weiterentwickelt worden.
Hochleistungscomputer im Einsatz
So gelingt es dem IRSOL, die Polarisierung des Sonnenlichts mit einer sehr hohen Präzision zu messen. Dies erlaubt es wiederum, das Magnetfeld in der Sonnenatmosphäre genau zu studieren, was in der Vergangenheit nicht vollkommen möglich gewesen sei.
Hinzu kommt die theoretische Interpretation der Daten und die Simulation an Computern. Da die Modelle so kompliziert seien, so Bianda, müsse auf das nationale Hochleistungsrechenzentrum (CSCS) in Lugano zurückgegriffen werden.
Ein Phänomen, das durch die Arbeit der Forscher am IRSOL besser verstanden werden kann, ist laut Bianda jenes der Sonneneruption – mit dem aktuellen Kenntnisstand sei es noch nicht möglich, präzise Vorhersagen zu machen. Dies wäre aber gerade nötig, um Warnungen auf der Erde aussprechen zu können, da es infolge von Sonneneruptionen in nördlichen Breiten zum Beispiel zu Stromausfällen kommen könne.