Den Golden Globe gab es zu Recht. DiCaprio ist in «Wolf of Wall Street» eine Wucht. Jetzt ist er mit seinem theatralen Kraftakt auch in Basel zu sehen: Wie er diesen Wolf seine Zähne fletschen lässt ist furchteinflössend, für alle, die ihr Pensionskassen-Geld an der Börse in Sicherheit wähnen.
Den Golden Globe gab es Sonntagnacht. Zu Recht. DiCaprio ist in «Wolf of Wall Street» eine theatrale Wucht. Wie er diesen Wolf seine Zähne fletschen lässt, ist furchteinflössend. Wer an seinem Börsenzocker nach diesem Film noch etwas Menschliches entdecken will, muss viel Wohlwollen aufbringen.
Dabei bewegt sich Scorsese ganz in der Ikonografie der amerikanischen Hollywoodtradition: Er setzt die Menschen in Umgebungen aus, die wir von «Wall Street», «American Psycho», «The Bonfire of Vanities» schon fast auswendig kennen.
In Händlerkreisen der Wallstreet hat die Welt des Scheins die Welt des Seins fest im Griff. Scorsese lässt nichts im Bild, das keine Wertsteigerung darstellen könnte. Das ist nicht einmal mehr «Schöner Wohnen» oder «Golf-Gazette». Das riecht alles wie der Werbe-Prospekt eines «Going Public».
Homo homini lupus
Während im Hintergrund des Handelsraums noch Aktienkurse laufen, manipulieren die Händler im Vordergrund die Handelspreise selbst. Während in der Vorabendsendung die Ökonomen noch über «virtuelles Geld» und «Buchgeld» und «Bankengeld» nachdenken, füllt Scorsese die Bilder mit den akkumulierten Reichtümern jener, die Geld mit Geld verdienen. Als der Wolf seinen Rücktritt bekannt geben will, trägt im Hintergrund bereits einer das Ergaunerte aus dem Bild.
Was DiCaprio spielt, ist dabei grossartig abstossend. Er blättert die Nöte und Verwirrungen eines Süchtigen in allen Facetten auf. Süchtig ist dieser Mann nach Liebe, nach Geld, nach Macht und – nach Sucht. Dabei ahnen wir, was hinter allem stecken mag. Er sucht süchtig nach allem, was ihm die Liebe ersetzt. Geld kann das am vielfältigsten. Geld mit Geld verdienen zu wollen, sagt er selbst, ist seine grösste Sucht.
Grossartig abstossend: Leonardo DiCaprio (mitte).
Scorsese und DiCaprio sezieren diesen menschlichen Wolf mit fast wissenschaftlichem Interesse: Sie verlieren nie ihr Interesse auch an den rührenden Seiten ihres Bösewichts. Scharf in der Beobachtung, unerbittlich in der Zielverfolgung, unfehlbar in der Witterung: Dieser Wolf ist das Alpha-Gebiss einer Wall-Street-Krake, die den Markt als ihre Beute fest in der Hand hat.
Tierisch geil und süchtig
DiCaprio lässt hinter der Maske den beängstigenden Wolf sichtbar werden. Die Händler treten in um ihn Horden auf. Ihre Arbeitswelt ist ein wilder Rudeltreff. Die Choreograhien, die Scorsese mit seiner Händlerhorde in seinem Grossraumbüro erfindet, spiegelt das wieder, was Dürrenmatt mit der «beängstigenden Masse» meinte. Hier lullt sich eine Klasse von Menschen in ein Selbstverständnis von Siegern ein. Scorsese gibt dem vielbeschworenen «Markt» ein Gesicht.
Schlicht genial ist Scorse dort, wo er seinen Schauspieler das praktizieren lässt, was Schauspieler am besten können: Die Gedanken seiner Figuren hinter Sätzen verstecken. Was DiCaprio in illegalen Verhandlungen and Sprachtaktiken praktiziert ist Schulungs-Höhepunkt: Egal ob er dem FBI- Beamten eine Besteechung anbietet oder den Banquier in Genf über die Möglichkeiten eines illegalen Kontos aushorcht, DiCaprio praktiziert ihn perfekt, den «Doublethink», den Orwell einst als eine notwenige Voraussetzung eines Systems benannt hat, indem nur wer sich auf illegalen Pfaden befindet, einen Nutzen daraus ziehen kann.
Scorsese nutzt die Kulissen und die Clichés. Er lässt die Rolex in die Büro-Meute werfen. Er entblöss uns die Welt der Reichen und Schönen. Er zeigt aber auch eine dumpfe Masse der Mitläufer. Die Meute hat durchaus Bewusstsein. Sie strebt nach Vermögen. Das Durchhaltevermögen einer Sekte hat sie bereits, in der lauter Strohmänner unterwegs sind, die ganz leicht Feuer fangen. An die Energie dieser Schauspieler kommt selten eine Theaterauführung heran.