Italien ist über den Gotthard und den Lötschberg gleich doppelt an die NEAT angebunden – zudem werden die Metropolen Zürich und Mailand ab Dezember 2016 näher zusammenrücken. Italiener und Schweizer verbindet ausserdem das gemeinsame Tunnelbau-Erbe.
Italien habe sich in den vergangenen Jahren auf den Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes konzentriert – 35 Milliarden Euro seien in diesem Bereich investiert worden, sagte Alessandro Fattorini vom Bundesamt für Verkehr am Dienstag bei einem Medienanlass in Rom.
Einerseits könne man Italien nun um diese Infrastruktur beneiden – anderseits spüre die Schweiz die Nachteile dieser Strategie: Die Zufahrtsstrecken zur NEAT seien nicht so schnell ausgebaut worden wie geplant, erklärte Fattorini.
Die Zeit drängt, sollen doch auf der Achse Rotterdam-Genua in Zukunft mehr Waren über die Schiene transportiert werden. Für den alpenquerenden Güterverkehr werde bis 2030 ein Anstieg von 25 auf 40 Millionen Tonnen jährlich erwartet – vorausgesetzt die wirtschaftliche Nachfrage bleibe stabil.
Güter nach Genua
Für die Schweiz wäre Genua der «natürliche Hafen», sagte der Schweizer Botschafter in Italien Giancarlo Kessler. Es sei deshalb auch im Interesse der Schweiz, wenn diese Linie so schnell wie möglich ausgebaut wird.
Hierfür entscheidend ist der «Terzo Valico dei Giovi» – eine Grossbaustelle, die für Italien eine ähnlich Bedeutung hat, wie für die Schweiz der Gotthard-Basistunnel. Für insgesamt 6,2 Milliarden Euro wird derzeit ein 37 Kilometer Tunnel durch den nördlichen Apennin gebaut – in erster Linie um Mailand und Genua besser zu verbinden- Die Fertigstellung ist für 2021 terminiert.
Kessler erkennt einen Strategiewechsel in der italienischen Politik: Es werde schrittweise auch in den Ausbau des Güter- und Pendlerverkehrs investiert. «Jetzt sitzen wir im selben Zug», sagte Kessler im Hinblick auf das Schweizer Verlagerungsziel von der Strasse auf die Schiene.
Italienische Tunnelarbeiter leiden im Berg
Ungeachtet der Bedeutung für die internationale Verkehrspolitik, wurden mit dem Gotthard-Basistunnel auch zwischenmenschliche Bande zwischen der Schweiz und Italien geknüpft.
Bis zu 2400 Arbeiter aus unterschiedlichen Nationen haben teilweise gleichzeitig auf der Baustelle für den 57 Kilometer langen Tunnel gearbeitet – bis zum Durchstich 2010 starben acht von ihnen. Nach den Österreichern gehörten die Italiener lange Zeit zur zweitgrössten Gruppe ausländischer Arbeiter, teilte die Alptransit Gotthard AG mit.
Die italienischen Arbeiter und Spezialfirmen aus dem südlichen Nachbarland seien bereits seit dem ersten Tunnelbau am Gotthard im 19. Jahrhundert von grosser Bedeutung für die Schweiz gewesen. Sie haben ihre Fähigkeiten und Erfahrungen aus dem eigenen Land eingebracht, sagte Fattorini auf Anfrage.
Erster Streik der Geschichte
Für den ersten Gotthard-Tunnel seien die italienischen Arbeiter vorwiegend aus dem Piemont gekommen, sagte Kilian T. Elsasser, Direktor der Museumsfabrik in Luzern auf Anfrage.
Da die Arbeit für die Mineure so gefährlich und anstrengend gewesen sei, arbeiteten sie nur wenige Saisons auf der Baustelle – häufig seien sie im Sommer auf ihre Bauernbetriebe in der Heimat zurückgekehrt.
Die Gotthardbahngessellschaft habe 1880 auf Ersuchen eines italienischen Gesandten eine Unfallstatistik angefertigt, in der 171 tödliche Unfälle aufgeführt waren – die meisten Opfer wurden durch Materialzüge überrollt oder eingequetscht.
Auf einer Tunnelbaustellen sei es aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen und ausbleibender Löhne 1875 zum ersten Streik des Schweizerischen Bundesstaats gekommen. Vier Personen wurden bei der Niederschlagung des Streiks, an dem vorwiegend italienische Arbeiter beteiligt waren, getötet, drei verletzt.
Epochenwechsel durch Tunnelbau
Auf Druck der italienischen Regierung habe der Bundesrat in der Folge Untersuchungen über Unterbringung und Gesundheitszustand der Arbeiter erstellt, schreibt Elsasser in seinem zusammen mit Alexander Grass veröffentlichten Buch «Drei Weltrekorde am Gotthard».
Der Bau des ersten Bahntunnels am Gotthard habe ausserdem einen Wendepunkt für die Schweiz markiert: Sie wurde stückweise vom Auswanderer- zum Einwanderungsland. 1888 wanderten dann erstmals mehr Personen in die Schweiz, als es Schweizer ins Ausland zog.