Sperren, sportliche Demütigungen, Kritik. London ist für Granit Xhaka ein heisses Pflaster. Doch der Schweizer hält dem massiven Druck stand.
Granit Xhaka gehört im Star-Ensemble von Arsenal zum Kern. Im Interview mit der Nachrichtenagentur SDA gewährt 24-jährige Mittelfeldspieler einen Einblick in den teilweise komplizierten Premier-League-Alltag. Er spricht über Zweifel, Risiken und seinen Anspruch, unter allen Umständen ein Leader zu sein.
Sie verstecken sich generell nicht, Sie sind unter Druck belastbar, die Kommunikation gegen aussen fällt Ihnen leicht – Sie ticken doch bereits wie der Captain?
Ich bin aktuell der Stellvertreter des Vize-Captains. Der Trainer hat sich vermutlich nicht ganz zufällig für diese Reihenfolge entschieden. Und klar, es würde mich extrem stolz machen, mein Land irgendwann als Captain auf das Feld führen zu dürfen.
Vladimir Petkovic attestiert Ihnen das nötige Naturell zur Führungspersönlichkeit.
Ich denke schon, dass ich die entsprechenden Voraussetzungen mitbringen würde. Nichts ist gespielt, so bin ich. An Erfahrung mangelt es mir ebenfalls nicht; ich habe in der Nationalmannschaft nicht zehn Spiele, sondern schon 50 hinter mir. Sollte das Amt irgendwann ernsthaft zum Thema werden, bin ich bereit.
Der aktuelle Captain Stephan Lichtsteiner goutiert Ihr Selbstbewusstsein. Was schätzen Sie umgekehrt an ihm?
Ich schaue zu ihm auf. So weit wie Steph bin ich noch nicht. Wenn ich einmal fünf Jahre hintereinander Stammspieler bei Arsenal bin, wie er es bei Juventus ist, dann kann ich vielleicht auf dieser Stufe mitreden. Er ist für mich in jeder Beziehung ein Vorbild.
«Lichtsteiner ist für mich ein Vorbild.»
In welcher Beziehung besonders?
Es ist beeindruckend zu sehen, wie unfassbar viel er in seinem Alter arbeitet und probiert, wie er sich in seiner bedingungslosen Art einsetzt für das Team. Und als ich nach meiner zweiten roten Karte in London unter Beschuss geraten bin, hat er mir geschrieben und mir seine Sicht der Lage geschildert. Einem jungen Spieler wie mir tat das enorm gut, von einem wie ihm Tipps zu erhalten. Seine Worte gaben mir in einer schwierigen Phase Stabilität.
Die verbalen Attacken haben Ihnen offenbar zugesetzt.
Mich hat enorm gestört, wer sich alles und in welcher Form geäussert hat. Die Kritik kam ja nicht vom Verein, sondern von Ex-Fussballern, die weder Arsenal, noch mich kennen, aber dennoch ihre Kommentare abgaben. Leute, die keine Ahnung haben, wie ich funktioniere, kanzelten mich ab und verunglimpften mich als dumm, dreckig und hirnlos!
Was tat Ihnen am meisten weh? Die Wortwahl? Die Sperre an sich? Die Hilflosigkeit, nicht mehr eingreifen zu können?
Der zweite Platzverweis berührte mich richtig. Ich war in einer guten Phase mit 13, 14 Partien in Folge, mein Rhythmus stimmte. Da durchfuhr mich die Angst, meinen Platz schlagartig zu verlieren. Zweifel kamen auf.
Drei Spielsperren für ein Foul 60 Meter ausserhalb des eigenen Strafraums.
Die Aktion war völlig unnötig, ich wäre gut abgesichert gewesen von den Mitspielern. Ich spürte bei der Rückkehr in München, wie mir die Wettkampfpraxis fehlte, wie ich Zeit benötigte, das Timing wieder zu finden.
Waren Sie erstaunt, nach der Sperre ohne Verzögerung wieder berücksichtigt zu werden? Es gab Experten, die Sie als Unruhefaktor im Spiel der Gunners ausgemacht hatten.
Mir hätte nichts Besseres passieren können als dieser Vertrauensbeweis von Arsène Wenger. Nach zwei Wochen Einzelschichten mit dem Konditionstrainer kam der Trainer zu mir und eröffnete mir: «Sie spielen!»
Haben Sie während jenen Wochen bei alten Weggefährten um Rat gebeten?
In den ersten drei Tagen schottete ich mich fast komplett ab. Dann habe ich mich mit verschiedenen Leuten ausgetauscht – ich hatte Kontakt mit Lucien Favre, mit André Schubert, mit ein paar Spielern.
Erfassten Sie die mögliche Tragweite überhaupt?
Sehen Sie, ein solcher Ausschluss kann unter Umständen eine ganze Laufbahn verändern. Der Trainer hätte ja auch sagen können, ich sei eine Belastung und gefährde den Erfolg. Er hätte mich rauswerfen können.
«Die Plakate gegen Arsène sind unschön, er wird für Dinge kritisiert, die wir Spieler zu verantworten haben.»
Die Ikone Wenger ihrerseits steht unter gewaltigem Druck und wird täglich angefeindet. Arsenal droht erstmals seit 1997 die Champions League zu verpassen. Wie angespannt ist die Lage?
Was sich hier abspielt, unterscheidet sich ungefähr um zwei Welten vom Alltag in Mönchengladbach. Wenn Arsenal dreimal in Folge nicht punktet, ist die Hölle los. Die Erwartungen sind gigantisch: Siege in der Meisterschaft, in der Champions League und im Cup! Bleiben sie aus, fällt die Kritik vernichtend aus – und zwar von überall her.
Wie nehmen Sie den angezählten Coach wahr?
Er arbeitete ruhig weiter und bereitete uns gut vor. Ich spüre bei ihm nicht das geringste Anzeichen von Resignation. Die Plakate gegen ihn sind unschön. Er wird für Dinge kritisiert, die wir Spieler zu verantworten haben.
Haben Sie in Ihrem ersten Londoner Jahr mehr gelernt als während der gesamten bisherigen Karriere?
Nein, das würde ich so nicht sagen. Ohne den in Gladbach erworbenen Status wäre ich nicht in England. Nach sechs Monaten bei der Borussia wollte ich abhauen und hätte so wohl alles verloren. Die Geschichte verlief zum Glück anders, weil ich mich mental gegen ein frühzeitiges Scheitern wehrte. Seit jenem Moment steht für mich fest: Ich lasse mich von nichts und niemandem kaputt machen.
Wie definieren Sie Ihre künftige Aufgabe bei Arsenal?
Ich bin bereit, mich den Herausforderungen zu stellen und dem Gegenwind standzuhalten. Mein Ziel ist es, auch bei einem Verein der weltweiten Top Ten eine zentrale Figur, ein intern akzeptierter Leader zu sein.
In der Nationalmannschaft werden Sie vermehrt im Fokus stehen, jeder Schritt, jede Regung von Ihnen wird mittlerweile unter der Lupe begutachtet.
Das ist für mich kein Problem, ich habe mir diese Position erarbeitet. Mir wurde nichts geschenkt, Jahr für Jahr investierte ich enorm viel. Bei mir beruht nichts auf Zufall, hinter allem steckt eine fundierte Planung. Deshalb brauche ich mich vor niemandem zu verstecken oder zu rechtfertigen.
Der nächste Schritt ist vermutlich der schwierigste.
Wahrscheinlich ist das so. Jetzt geht es darum, das Maximum anzustreben, die letzten Prozente herauszuholen. Ganz oben ist die Luft dünn, da haben kleine Fehleinschätzungen erhebliche Folgen.
_
Frisch im Angebot gibts auch ein Interview mit Fabian Schär, der darin sagt: «Meine Situation ist nicht vorteilhaft»