Grober Unfug mit den Volksrechten

Die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sind nicht auf die Mogelpackung der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz hereingefallen: Über drei Viertel der Stimmenden haben die Volksinitiative «Staatsverträge vors Volk» klar versenkt. Das ist gut so. Denn eine Annahme hätte die Demokratie nicht gestärkt, wie die Europagegner vorgaukelten, sondern im Gegenteil geschwächt. Ein Kommentar.

Die Schufterei war umsonst: Mitglieder der «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» reichen die Volksinitiative «Staatsverträge vors Volk» in Bern ein (11. August 2009). (KEYSTONE/Peter Schneider) (Bild: PETER SCHNEIDER)

Die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sind nicht auf die Mogelpackung der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz hereingefallen: Über drei Viertel der Stimmenden haben die Volksinitiative «Staatsverträge vors Volk» klar versenkt. Das ist gut so. Denn eine Annahme hätte die Demokratie nicht gestärkt, wie die Europagegner vorgaukelten, sondern im Gegenteil geschwächt. Ein Kommentar.

Remo Leupin, Co-redaktionsleiter TagesWoche

Erwartungsgemäss sind die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) nicht auf den Leim gekrochen und haben die Initiative «Staatsverträge vors Volk» klar abgelehnt. Zu durchsichtig war das eigentliche Ziel der Europagegner: Ihre Initiative zielte nicht – wie vordergründig behauptet – auf eine Stärkung der Demokratie, vielmehr wollten sie sich ein politisches Vehikel verschaffen, mit dem jede weitere Annäherung der Schweiz an Europa und die Welt hätte hintertrieben werden können.

Durchsichtige Mogelpackung

Staatsverträge werden keineswegs am Volk vorbeigeschmuggelt, wie die Initianten dem Volk weismachen wollten. Die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger geniessen bereits heute Mitbestimmungsrechte in der Aussenpolitik, die weltweit einzigartig sind.

Für zentrale Weichenstellungen – zum Beispiel für einen EU-Beitritt – gilt das obligatorische Referendum. Das heisst: Volksabstimmungen sind zwingend, und Volk und Stände müssen grünes Licht für die politische Umsetzung geben. Wichtige Staatsverträge wiederum unterstehen dem fakultativen Referendum: 50’000 Stimmberechtigte oder acht Kantone können eine Volksabstimmung verlangen, wenn Sie Vorbehalte gegen einen Staatsvertrag haben. Das war zum Beispiel beim Schengener Abkommen so – das dann von einer Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger gutgeheissen wurde. Vor diesem Hintergrund war die Staatsvertrags-Initiative nichts mehr als eine durchsichtige Mogelpackung.

Unsinnige und teure Leerläufe

Optimale Mitbestimmung des Volkes in der Aussenpolitik heisst nicht, über alle, sondern über die wichtigsten Staatsverträge abstimmen zu können. Das ist mit der im Jahr 2003 verbesserten Rechtslage möglich. Eine Annahme der Auns-Initiative hätte das Gegenteil bewirkt: Nebst dem Volks- hätten mehr Staatsverträge neu auch das Ständemehr gebraucht, was wieder zu Verzerrungen der Volksmeinung geführt hätte.

Ausserdem wäre das direktdemokratische System durch eine Vielzahl neuer und unnötiger Abstimmungen überstrapaziert worden: Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger hätten automatisch auch über unumstrittene Staatsverträge urteilen müssen – was zu ärgerlichen und kostspieligen Leerläufen geführt hätte. Für die exportorientierte Wirtschaft wichtige Verträge wären verzögert und der Bundesrat wäre in wichtigen Verhandlungen mit ausländischen Staaten blockiert worden.

Mit der populistischen Stilisierung des Bürgers als einziger und unfehlbarer Instanz pervertieren die Europagegner das bislang bewährte Konzept der direkten Demokratie in der Aussenpolitik: In ihrem Misstrauen gegenüber der «classe politique» wollten sie aus einem wirkungsvollen Korrektiv zur Macht des Parlaments und des Bundesrats ein antiparlamentarisches und antigouvernementales Kampfmittel machen. Das ist dummer Unfug mit bis anhin bewährten Volksrechten.

Nächster Artikel