Henning Mankell hat sich vor einer Woche entschieden, seine Krankheit nicht geheim zu halten. Kann er mit dieser selbstgewählten Öffentlichkeit schreibend umgehen?
Kaum hat Henning Mankell im ‚Guardian‘ und in der FAZ angekündigt, dass er – an Krebs erkrankt – weiter Kolumnen für die Zeitung «Göteborg Posten» schreiben werde, meldet sich auch höchstkritischer Widerspruch: ZEIT-Alt-Redaktor Ulrich Greiner verlangt gutbürgerliches Schweigen. Über Tod und Krankheit solle man nur Romane verfassen. «Man sollte, wenn man es kann, den großen Todesromanen der Literaturgeschichte einen neuen hinzufügen. Oder lieber schweigen».
Henning Mankell, Verfasser von millionenfach gelesenen Erzählungen, Familienchroniken, Kriminalromanen, Jungendbüchern, Beziehungsromanen, und Theaterstücken soll keine Kolumne über Privatsachen schreiben. Der Tod sei eine solche Privatsache, von der er, Greiner, nicht lesen wolle (solange der Kranke noch lebt?). Selbst eine vorausgehende Krankheit sei Privatsache. Das ist – gelinde gesagt – pietätlos dem Kranken gegenüber. Sollen kranke Autoren die Medien meiden? Über vielem liegt der Mantel des Schweigens. Auch über dem Kranksein. Bicht zuletzt braucht die Krankheit der Gesellschaft Diagnostiker.
Der Kranke schreibt aus der Perspektive des Lebens
«Men jag tänker skriva ur livets perspektiv, inte dödens», schreibt Henning Mankell vor einer Woche: «Ich habe vor, aus der Perspektive des Lebens darüber zu schreiben». Er hat also entschieden – in Kenntnis um seine Krankheit – weiter das zu tun, was er sein Leben lang tat: schreiben. Lustvoll, zwanghaft, ausufernd, kompromisslos. Neu daran ist, dass er ungesichert schreibt. Ohne ordnendes Lektorat. Ohne voraussehbare Dramaturgie. Ohne Inanspruchnahme der heilenden Zeit. Die FAZ riskiert es, Mankell ungeordnet abzudrucken. Die Göteborgs Posten und der Guardian veröffentlichen ebenfalls weiter.
Der Gesunde schrieb aus der perspektive des Todes
Wer Mankells Untersuchung mit offenem Ausgang nicht lesen will, kann auch in Mankells unzähligen Büchern nachlesen. Dort gehen Menschen mit unheilbaren Krankheiten um. Diese Werke sind bereits abgeschlossen und feuilletonistisch fassbar.
Hier ein Beispiel aus dem Werk des Autorn: Es stammt aus der «Reise ans Ende der Welt», einem der Jugendbücher von Henning Mankell: Der Junge, Joel, hatte gehofft, sein Vater Samuel werde ihn nach der Schule auf eine grosse Reise mitnehmen. Doch Samuel liegt im Bett. Er will erst nicht verraten warum.
«… Das sagte der Arzt nicht. Er sagte, es sei Krebs. Er sei unheilbar. »
Joel wusste nicht, was er antworten sollte.
«Wer wird jetzt einkaufen?»
«Sara hat jemanden organisiert, der für mich einkauft. Es wird täglich auch eine Krankenschwester hierher kommen. Bis ich ins Krankenhaus muss.»
«Hast du Schmerzen?»
«Nicht stark. Nicht wie in Stockholm. Ausserdem gibt es Tabletten dagegen.»
«Du sagtest doch, es sei unheilbar.»
«Ich meine: gegen die Schmerzen.»
«Wirst du sterben?»
Joel zitterte bei seinen eigenen Worten.
Aber Samuel lachte nur. Eigenartig.
«Doch nicht jetzt, da du endlich wieder zu Hause bist. Ich finde, es geht mir tatsächlich etwas besser ….Vielleicht geht es vorbei auch, auch wenn es etwas Unheilbares ist …Verdammt! Man kann vielleicht auch leben mit etwas Unheilbarem. Es gibt Menschen die leben ohne Arme und Beine!»
Joel war nicht sicher, ob Samuel meinte, was er sagte. Also nickte er bloss. Er war einverstanden. Was immer auch Samuel meinte …
Er fragte sich nur, ob Samuel irgendwann nicht daran geglaubt hatte, dass er wieder zurück auf Hohe See käme. Oder war es nur ein Traum ohne Hoffnung gewesen? Von Anfang an? Joel wusste keine Antwort. Und jetzt war es zu spät, um zu fragen.