Der WM-Riesenslalom der Männer in St. Moritz kündigt sich als Duell zwischen Marcel Hirscher und Alexis Pinturault an. Von den vier Schweizern wird Justin Murisier am höchsten gehandelt.
Der Zweikampf um den Titel zwischen Hirscher und Pinturault wäre der Normalfall. Zumindest kann aufgrund der Ergebnisse im Weltcup davon ausgegangen werden. Von den letzten 15 Riesenslaloms hat der Österreicher sechs und der Franzose sieben gewonnen.
Schön und gut, aber WM-Rennen verlaufen nicht selten abseits der Norm. Die Logik bleibt sprichwörtlich auf der Strecke, wenn nicht alle Faktoren wie Tagesform, äussere Bedingungen und das viel beschworene Wettkampfglück passen. Gravierende Fehler dürfen sich selbst Hirscher und Pinturault trotz ihrer Extraklasse keine erlauben, denn hinter ihnen folgen in der Hierarchie mehrere Konkurrenten mit dem Potenzial zum Weltmeister.
WM-Titel hier, Frust und Ärger dort
Die Tage vor dem Showdown hätten für Hirscher und Pinturault nicht unterschiedlicher verlaufen können. Der Österreicher hatte nach der Kombination und dem Team-Wettkampf Enttäuschungen und nach hämischen Kommentaren in den sozialen Netzwerken und auf Internet-Portalen auch noch Ärger zu verarbeiten. Sein Unmut war so gross, dass er kurzfristig eine Medienkonferenz einberief, um seine Meinung zu den «peinlichen Beiträgen» kundzutun. Pinturault bewegte sich ganz am anderen Ende der Gefühlsskala. Dank dem Sieg mit der französischen Equipe im Team-Event hat er seine Goldmedaille bereits auf sicher.
Wie Pinturault strebt auch Hirscher seinen ersten Titel im Riesenslalom an. Da käme erneut die Logik ins Spiel. Wer bei den letzten zwei Weltmeisterschaften Zweiter wird, hätte sich das Gold redlich verdient. Hirscher wäre auch deshalb ein «logischer» Weltmeister, weil der Titelverteidiger nicht am Start sein wird. Für den Amerikaner Ted Ligety, den Triumphator an den letzten drei Weltmeisterschaften, hat die Saison wegen einer Bandscheiben-Operation Mitte Januar vorzeitig geendet.
Schweizer Hoffnung auf das Abnormale
Auch die Schweizer müssen am Freitag auf das Abnormale hoffen. Alle sind sie auf einen Exploit angewiesen, wollen sie mit den Besten mithalten. Justin Murisier war in diesem Winter schon mehrfach nahe dran an der Spitze, zu einem Podestplatz hat es aber auch ihm noch nicht gereicht. Trotzdem wird der Walliser im WM-Riesenslalom nicht vom eingeschlagenen Weg abweichen. «Ich weiss, dass ich sehr schnell sein kann. Wenn ich also meine gewohnte Leistung zeige, kann ich vorne dabei sein.»
Die Enttäuschung aus der Kombination, in der er eine vielversprechende Ausgangslage nach der Abfahrt durch eine verhältnismässig bescheidene Vorstellung im Slalom vergeben hat, hat Murisier verarbeitet. Die Rolle des grössten Schweizer Hoffnungsträgers belastet Murisier nicht. «Wenn ich etwas erreichen will, muss ich nicht nur die Schweizer, sondern auch die anderen Konkurrenten schlagen.»
Zu verarbeiten hatte auch Carlo Janka einiges. Vor allem sein Abschneiden am Sonntag in der Abfahrt, in der er mit Platz 28 weit hinter den Erwartungen geblieben war, beschäftigte den Bündner. Abnormales im negativen Sinne. Die Möglichkeit, dass der Bündner bei seinem vierten Einsatz an dieser WM Versäumtes nachholen wird, scheint gering. Es würde ebenso nicht der Logik entsprechen wie eine Top-Klassierung von Gino Caviezel. Jankas Kantonskollege hofft auf den Überraschungseffekt – und denkt dabei unweigerlich an seinen älteren Bruder. Mauro Caviezel hat ihm am Montag mit dem Gewinn der Bronzemedaille in der Kombination vorgemacht, dass in einem einzelnen Rennen selbst auf höchstem Niveau (fast) alles möglich ist.
Das Schweizer Quartett komplettiert Loïc Meillard. Der mit 20 Jahren jüngste Teilnehmer von Swiss-Ski war bei letzter Gelegenheit auf den WM-Zug aufgesprungen. Ende Januar hatte er sich mit Rang 12 im Weltcup-Riesenslalom in Garmisch für die Selektion empfohlen. Er schaffte dies nur sechs Wochen nach einer Meniskus-Operation am rechten Knie. Eine Leistung ausserhalb des Normalen also.