Historische Chance und erhöhter Druck auf YB

Wollen die Young Boys nach der Winterpause weiter internationale Partien bestreiten, müssen sie heute (21.05 Uhr) in der Europa League in Liverpool gewinnen. Der FC Basel trifft auf Sporting Lissabon.

Wollen die Young Boys nach der Winterpause weiter internationale Partien bestreiten, müssen sie heute (21.05 Uhr) in der Europa League in Liverpool gewinnen. Der FC Basel trifft auf Sporting Lissabon.

Im Optimalfall, sprich mit einem Auswärtserfolg, stehen für die Young Boys die Türen zur Qualifikation für die Sechzehntelfinals offen. Im schlimmsten Fall kommt dem abschliessenden Heimspiel gegen Anschi Machatschkala am 6. Dezember keine Bedeutung mehr zu. Gewinnt YB, liegt Rang 2 im Bereich des Möglichen. Nur: in Liverpool hat noch nie ein Schweizer Team gewonnen.

Die Ausgangslage vor dem Auftritt in der legendären Anfield Road ist für die Young Boys wie ein Spiegelbild der bisherigen Saisonverlaufs. Das Pendel kann auf beide Seiten ausschlagen, jederzeit und ohne Vorankündigung. Auf eine gute Leistung folgte in den meisten Fällen eine weniger gute. In der Super League konnten die Young Boys kein einziges Mal zwei Siege aneinanderreihen.

Eine Erklärung für die gewaltigen Leistungsschwankungen zu finden, fällt Team und Trainer gleichermassen schwer. Sonst wäre das Problem ja gelöst, heisst es. Trainer Martin Rueda hat nach dem 0:0 gegen St. Gallen festgestellt, dass es ungemein wenig braucht, bis die Situation kippen kann. „Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ist nicht sehr stabil. Ich habe teilweise Panik ausgemacht“, so Rueda. „Ich habe zwei Szenen im Kopf, die gereicht haben, um die Mannschaft unglaublich zu verunsichern. Einmal ist Alain Nef ausgerutscht, einmal hat Marco Wölfi den Ball einem Gegner am eigenen Sechzehner fast in die Füsse gespielt.“

Für den Auftritt an der Anfield Road fordert Rueda „in erster Linie Mut und nicht in Ehrfurcht zu erstarren“. Er sei mit einem guten Gefühl nach Liverpool gereist. „Es ist ein Highlight für uns. Wer hätte gedacht, dass wir zwei Runden vor Schluss noch Chancen auf das Weiterkommen und gleich viele Punkte auf dem Konto haben wie Liverpool?“, fragte Rueda rhetorisch. „Wir können Geschichte schreiben. Und das wollen wir tun, indem wir unsere Chancen suchen. Wir steigen nicht ins Spiel, um nur zu verteidigen und nicht zu verlieren.“

Geschichte schreiben könnten die Young Boys darum, weil seit Servette im Cupsieger-Cup 1971 auf der Charmilles kein Schweizer Team mehr gegen Liverpool gewonnen hat. Das wertvollste Auswärtsresultat – in vier helvetischen Anläufen – realisierte in der ersten Gruppenphase der Champions League 2002/03 der FC Basel mit dem 1:1. Damals war der FCB von 2500 stimmgewaltigen Fans nach England begleitet worden. Auf einen ähnlichen Support werden heute auch die Young Boys zählen können. Über diverse Routen trat ungefähr die gleiche Anzahl Berner Fans die Reise nach Liverpool an. Ein würdiger Rahmen ist an der Anfield Road gegeben.

Liverpools Trainer Brendan Rodgers hat im Vorfeld der Partie angedeutet, dass er die Partie nicht auf die leichte Schulter nehmen wird. Der sehr dichte Spielplan mit vier Spielen innerhalb von zehn Tagen und die Aussicht auf einen „Schontag“ am übernächsten Donnerstag lassen den 39-jährigen Nordiren Änderungen in der Startformation vornehmen. Die lokalen Beobachter gehen dennoch davon aus, dass Rodgers wegen der Chance, sich vorzeitig für die Sechzehntelfinals zu qualifizieren, Captain Steven Gerrard und Goalgetter Luis Suarez von Beginn weg bringen wird. Anders als beim Hinspiel in Bern, als die YB-Fehler beim 3:5 von der B-Auswahl der „Reds“ bestraft worden waren und Gerrard und Co. dies vom heimischen Sofa aus registrierten.

Auch Basel muss gewinnen

Gegen Sporting Lissabon plant der FCB auch auf internationaler Ebene das Comeback. Der von oberster Stelle verordnete Umwandlungsprozess greift. In Basel hallt die Entlassung des Publikumlieblings Heiko Vogel nicht mehr nach. Unter der Leitung von Nachfolger Murat Yakin hat sich die Lage spürbar entspannt. Die Ruhe trügt nicht. 4:0 deklassierte Basel am am letzten Sonntag GC. Im Tagesgeschäft bewegt sich der FCB wieder auf dem Niveau, das mit seinen gehobenen Anspruch vereinbar ist. Nun ziehen sie im Heimspiel gegen Sporting Lissabon auch die europäische Trendwende wieder in Betracht. Gewinnt der Schweizer Meister gegen den sieglosen Letzten der Gruppe G, steht am 6. Dezember in Genk das entscheidende Spiel um den erhofften Platz in den 1/16-Finals an.

Captain Marco Streller (gegen Lissabon gesperrt) erwartet gegen Sporting eine Fortsetzung der positiven Resultate. Das Team habe Ballast abwerfen können. Der neue Coach steht mehr im Zentrum als der vergleichsweise „glamourfreie“ Vorgänger; mit dem momentan wünschenswerten Effekt, dass er so auch etwas Druck von den Spielern nehmen kann. Und Yakin hat seine taktischen Vorgaben innert Kürze wirkungsvoll vermittelt – zunächst auch mittels intensiver Theorielektionen.

Bei Basels Gegner ist eine Stabilisierung derzeit nicht absehbar. Die sündhaft teure Equipe hat sich vom Fehlstart Mitte August nicht erholt. Seit dem letzten Treffen in Lissabon (0:0) veränderte sich an der ungenügenden Positionierung (Rang 10 nach neun Runden und nur drei Siege in allen Wettbewerben) nichts, aber im Umfeld fast alles: Coach Ricardo Sá Pinto wurde am 5. Oktober freigestellt, 17 Tage später trennte sich der Verein von Sportchef Carlos Freitas. Lokale Beobachter sprechen im Zusammenhang mit Sportings Führung von chaotischen Zuständen. Präsident Luis Godinho Lopes, dem mehrere Journalisten erhebliche fachliche Defizite unterstellen, reihe einen Fehlentscheid an den nächsten. Den neuen belgischen Trainer Franky Vercauteren (55) soll er mit einem mit 1,8 Millionen Euro dotierten Acht-Monate-Vertrag ausgestattet haben – übrigens auf Empfehlung von Freitas. Das kaum mehr abzuwendende Out auf internationaler Ebene wäre aus der Optik des Halbfinalisten der letzten Europa-League-Saison als fürchterliches Desaster zu taxieren.

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