Bei Zusammenstössen zwischen Gegnern und Anhängern des ägyptischen Staatschefs Mohammed Mursi sind am Sonntagabend ein Mensch getötet und dutzende weitere verletzt worden. Sicherheitskräften zufolge kam es südlich von Kairo zu den gewaltsamen Auseinandersetzungen.
Mit wehenden Fahnen und lauten Sprechchören protestierten am Sonntag mehr als 300’000 Ägypter gegen ihren Präsidenten Mohammed Mursi. In mehreren Städten demonstrierten laut Armee Millionen von Menschen. Am ersten Jahrestag seines Amtsantritts riefen die Menschen in Kairo und anderen Städten dem Staatschef «Verschwinde!» entgegen.
Ähnliche Szenen hatten sich 2011 bei den Protesten gegen den damaligen Machthaber Husni Mubarak abgespielt. Mehrere Demonstrationszüge setzten sich am frühen Abend Richtung Präsidentenpalast in Bewegung. Im Stadtteil Gizeh schlossen sich auch einige Polizeioffiziere den Protestmärschen an.
Schon am Samstagabend hatten sich Tausende Menschen auf dem Tahrir-Platz im Zentrum Kairos versammelt und angekündigt, solange auszuharren, bis Mursi zurücktrete.
Angriff auf Parteizentrale
Während der Proteste wurde am Sonntag die Zentrale der Muslimbruderschaft in Kairo mit Brandsätzen und Schüssen angegriffen. Rund «150 Rowdys» hätten Molotow-Cocktails und Steine auf das Gebäude im Stadtteil Mokkattam geworfen und mit feinem Schrot geschossen, sagte ein Sprecher der Islamisten. Im ägyptischen Fernsehen war zu sehen, wie Dutzende Menschen das Gebäude attackierten.
Wenige Kilometer von den Protestierenden entfernt versammelten sich am Sonntag im Kairoer Vorort Nasr-City Zehntausende Anhänger der islamistischen Parteien, um ihre Solidarität mit Mursi zu bekunden. Einige von ihnen trugen Stöcke bei sich.
Auch in Alexandria, Port Said und Luxor
Auch in der Hafenstadt Alexandria, in Port Said und in der Tempelstadt Luxor gingen Menschen auf die Strassen. In Alexandria klagten mehrere Demonstranten über Vergiftungserscheinungen, nachdem sie von Unbekannten am Strassenrand umsonst Flaschen mit Wasser und Limonade erhalten hatten. Die Organisatoren der Proteste warnten daraufhin davor, Getränke anzunehmen.
Lokale Medien berichteten, bei Gewalt zwischen Islamisten und Regierungsgegnern in der Stadt Al-Mansura seien 17 Menschen verletzt worden.
In einem südlichen Kairoer Stadtteil explodierte ein selbst gebauter Sprengsatz. Das Innenministerium erklärte zudem, es seien zuletzt zahlreiche Gewehre beschlagnahmt worden.
Angst vor Gewalt
Viele Ägypter gingen aus Angst vor gewalttätigen Ausschreitungen weder zu den Protesten noch zur Arbeit. Tausende Ausländer hatten das Land bereits am Samstag verlassen. Auch am Sonntag herrschte Gedränge in der Abflughalle am Kairoer Flughafen.
Die Grossdemonstrationen sollten den Abschluss der Anfang Mai gestarteten Kampagne «Tamarod» (Rebellion) markieren, bei der die Initiatoren rund 22 Millionen Unterschriften von Bürgern gegen Mursi gesammelt haben sollen. Ziel war es, mehr Unterschriften zu bekommen, als der Islamist Wählerstimmen erhalten hatte. Bei der Wahl vor einem Jahr hatte sich Mursi mit 13,2 Millionen Stimmen knapp durchgesetzt.
Wirtschaft vor dem Absturz
Die Opposition wirft Mursi vor, er handle nicht wie ein Präsident für alle Ägypter, sondern sei vor allem daran interessiert, die Macht der Muslimbruderschaft auszubauen. Die massiven wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes habe er nicht gelöst. Deshalb habe er seine Legitimität verloren und müsse abtreten.
Unterstützer Mursis beharren darauf, dass der Islamist bis zum Ende seiner vierjährigen Amtszeit bleibt. Der Berater der Muslimbruderschaft, Gehad al-Haddad, sagte, Mursi habe die Präsidentschaftswahl mit gut 51 Prozent gewonnen. Das bedeute auch, dass 49 Prozent ihn nicht gewählt hätten. Das sei ein faires Verfahren. Die Opposition müsse das akzeptieren.