Pegasus aus Biel sprangen für die abwesende Nina Hagen ein. Die Stars des Samstagabends an der AVO Session Basel waren aber sowieso Hurts aus Manchester.
Regierungsrätin Eva Herzog stand am Samstag die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben. «Nina Hagen ist krank» lasen sie und ihre Familie auf den Affichen beim Eingang zur AVO Session Basel. Anstelle der deutschen Sängerin würden Pegasus aus Biel das Doppelkonzert mit Hurts aus Manchester bestreiten.
Womit man festhalten kann: In der Beziehung von AVO Session und Nina Hagen ist der Wurm drin. Schon 2004 hätte die Punkerin am Basler Indoor-Festival auftreten sollen. Und schon damals musste sie ihren Auftritt krankheitsbedingt absagen – damals litt sie an einer Kieferhöhlenentzündung. Über den Grund für ihr erneutes Fernbleiben war am Wochenende nichts genaueres zu erfahren.
Aufgrund dieser Programmänderung hatten die Besucher die Wahl: Sie konnten entweder das Geld zurückverlangen und den angebrochenen Abend anderweitig verbringen – oder aber für den gleichen Ticketpreis die Schweizer Newcomer Pegasus erleben.
Festivalpräsident Matthias Müller erzählte dem Publikum um 20 Uhr, dass er die Bieler Band zuvor mit seiner Anfrage überrumpelt habe – und dass er ausgesprochen froh sei, dass sie so spontan zusagen konnten. Dass er in seiner Not eine der grössten Agenturen der Schweiz angerufen hatte und sich in erster Linie für die Lovebugs als Ersatz interessierte, verschwieg er diskret. Die Lokalmatadoren mussten die Anfrage ablehnen, da sie derzeit voll und ganz mit neuen Studioaufnahmen beschäftigt sind. So kamen Pegasus zu ihrem ersten grossen Basler Auftritt, wie sie selber sagten. Das Timing passte: Vor vier Wochen landeten sie mit ihrem neuem Album «Human.Technology» im Nu auf dem fünften Platz der Schweizer Hitparade.
Sie meisterten die schwierige Aufgabe, über Hagens Abwesenheit hinwegtrösten zu müssen, überraschend gut. Zwar ist ihre Musik weitaus berechenbarer als jene der deutschen Sängerin. Aber gerade diese Vorhersehbar- und Eingängigkeit half von Beginn weg mit, den Graben zwischen Band und Publikum zu schliessen. So klatschten die Besucher denn bereits nach dem ersten Lied freudig mit.
In der Gunst des Publikums stiegen Pegasus zusätzlich, als Frontmann Noah Veragut in einer seiner charmanten Ansprachen erklärte, dass sie an diesem Abend bereits ein Engagement in St. Gallen zu erfüllen hätten – weshalb sie unmittelbar nach dem AVO-Konzert in die Ostschweiz reisen würden. Ihr Sondereinsatz wurde herzlich verdankt – und für ihre aktuelle Hymne «Rise Up», mit der sie sich nicht hinter den ganz grossen Stadionrockbands verstecken müssen, erhielten sie verdiente Standing Ovations.
Dass der Messe-Festsaal trotz der Absage von Nina Hagen sehr gut besucht war, lag auch daran, dass sich die überragende Mehrheit der Besucher wegen dem zweiten Act ein Konzertticket gekauft hatte: Hurts aus Manchester, die Synthiepop-Band der Stunde.
Wie Pegasus kann man sie noch zu Newcomern im Musikgeschäft zählen. Erst im vergangenen Jahr veröffentlichten Hurts ihr Debütalbum «Happiness» – eine starke Sammlung von Popsongs, die mit Pomp und Pathos vorgetragen werden. Eine der vollendetsten Platten des Jahres 2010, die, von der ersten Single «Wonderful Life» angetrieben, bis auf Platz 2 der Schweizer Hitparade vorstiess.
Auf der Bühne bestätigt sich der Eindruck, dass Hurts ihre Vorbilder aus den 80er-Jahren genau studiert haben: Ihre Lieder erinnern stark an alte Synthiepop-Grössen wie Ultravox, Talk Talk oder Depeche Mode. Die Strophen beginnen meist mit zarten Gesängen, die in den Refrains in tiefen Hall getaucht werden und epische Grösse annehmen. Theo Hutchcraft heisst der Sänger mit dieser grossen Stimme, die voller Sehnsucht und Dramatik von Liebesschmerz und Hoffnungen erzählt. Wie alle Musikerinnen und Musiker auf der Bühne ist er schwarz gekleidet. Nicht die einzige Reminiszenz an die Ästhetik der Gothic-Szene, da sind auch schwarze Handschuhe und weisse Rosen. Letztere wirft Hutchcraft immer wieder ins Publikum – ein Liebesbeweis, ein Begräbnis-Ritual auch. Hurts suhlen sich im Schmerz, die Schönheit liegt im Dunkeln, die Liebe immer ganz nah bei der Angst. Starr wie ein Untoter richtet Hutchcraft seinen Blick ins Publikum, während sein Kompagnon Adam Anderson gar nicht erst den Augenkontakt zu den Besuchern sucht, sondern sich primär auf seine Arbeit am Synthesizer und an der Gitarre konzentriert. Flankiert werden die beiden von einer Band inklusive Streichquartett.
So schön, so hymnisch ihre Lieder auch sind – von der flehenden Ballade «Stay» bis zur treibenden Disco-Nummer «Better Than Love»: Das Konzert würde an Dringlichkeit verlieren, wenn Hurts ihre unterkühlte Attitüde ausnahmslos durchziehen würden. Wann immer sich ihre statische Präsenz zu erschöpfen beginnt, überraschen sie mit einem visuellen Bonus: Sei es, indem sich die beiden Frontmänner mit Gitarre und Mikrofonständer ein Gefecht liefern, das mit grandioser, homoerotischer Dramatik aufgeladen ist. Indem sich zwei Tänzerinnen um die Melodiebögen schlängeln. Oder indem das Streichquartett mit einem filigranen Intermezzo den Weg für die nächste grosse Steigerung ebnet.
In den 60 Minuten spielen Hurts fast alle Songs, die sie in ihrer jungen Bandkarriere geschrieben haben. Erfreulich wie viele grosse Lieder diese Band bereits im Köcher hat, wie wenig Ausschussmaterial sich darunter befindet. Elegant, wie Hurts durch ihre klangliche Retroästhetik einen Hauch Nostalgie in den Saal zaubern und doch ganz der Gegenwart zuzuordnen sind. Und erstaunlich, dass noch Stunden nach Konzertende Melodiefetzen durch die Gehörgänge jagen. Da bleibt was hängen. Dass ja eigentlich auch noch Nina Hagen auf der Affiche gewesen wäre, fällt einem erst viel später – und ganz zufällig – wieder ein. Man hat sie nicht vermisst. Hurts sei Dank.