Im Kloster Saint-Marie de la Tourette stehen die Türen für alle offen. Während einem Tag oder einer Woche können Besucher am Klosterleben teilhaben und zwischen gregorianischen Gesängen, Wein und Naturbetrachtung sich selber begegnen. Zu anstrengend? Ein Besuch lohnt sich alleine auch wegen der Architektur.
Bitte eintreten: Hier geht es herein ins Kloster, alles was es dafür braucht, ist der Code für die Türe.
(Bild: Michael Fässler)Der Blick geht von innen nach aussen und von aussen nach innen.
(Bild: Michael Fässler)Eine Ausnahme bildet die Kirche, wo kein Fenster den Blick auf die Umgebung ermöglicht.
(Bild: Michael Fässler)Das Gebäude ist auf massiven Betonpfeilern abgestützt und erhält so trotz seiner Masse eine optische Leichtigkeit.
(Bild: Michael Fässler)Diese Lichtschächte verbinden die Kirche mit der Aussenwelt.
(Bild: Michael Fässler)Kruzifixe gibt es im öffentlich zugänglichen Teil des Klosters fast nur in der Kirche. Wie dieses hier.
(Bild: Michael Fässler)Die Skulpturen von Anish Kapoor (zu sehen bis Januar 2016) verstärken die magische Architektur des Baus.
(Bild: Michael Fässler)Diese weissen Gewänder tragen die Mönche zu den Gottesdiensten.
(Bild: Michael Fässler)Nicht nur die Schlafzellen sind spartanisch. Einen Kontrast dazu bilden farbige Wände und Türen.
(Bild: Michael Fässler)Licht und Schatten sind Teil der Architektur.
(Bild: Michael Fässler)«Spartanisch: ein Tisch, ein Bett, ein Stuhl.» So steht es im Duden und so ist auch das Zimmer. Ich stelle meine Tasche neben die Spritzbetonwand und trete durch die Glastüre auf den steinernen Balkon in die Nachmittagssonne. Vom Zimmer nebenan streckt mein Begleiter seinen Kopf hinter der Mauer hervor und gemeinsam blicken wir auf die unter uns liegende grüne Wiese und die Baumwipfel des nahen Waldes.
Der Kollege blinzelt im Gegenlicht und sagt in seinem breiten Berner Dialekt: «Hier fährst du ‹instantly› runter.» Als ich wenig später auf dem schmalen Bett liege, geht mir dieser Satz nochmals durch den Kopf, ich denke an Instant-Messaging, an Instant-Kaffee. Dann schlaf ich ein.
Sakraler Beton
Vor mehr als 50 Jahren erhielt der Schweizer Architekt Le Corbusier den Auftrag zum Bau des Dominikaner-Klosters nordwestlich von Lyon. Ein sakrales Gebäude sollte es werden, ohne den gängigen Kirchenklamauk. Gebaut hat der Architekt ein Gebäude aus verstörendem Grau. Eine Betonanlage, ebenso filigran wie mächtig, eingebettet in die idyllische Landschaft des Beaujolais. Für Architektur-Fans ein Muss, für alle anderen wahlweise ein Faszinosum oder visueller Schrecken.
Insgesamt 100 Schlafzellen befinden sich im Gebäude. Einst als Kloster für 90 Mönche geplant, wohnen heute noch 8 Dominikaner im Kloster. Und teilen sich ihren Alltag mit Besuchern aus allen Kontinenten. Einige bleiben für eine Woche, andere, so wie wir, nur für ein Wochenende.
Ein Spiel aus Licht und Schatten
Wer den hufeisenförmigen Bau erkundet, trifft mit jedem Schritt auf ein Spiel aus Licht und Schatten. Breite Glasfronten und schmale Langfenster verbinden die Innenräume mit der Umgebung. Die Architektur lässt kaum eine Möglichkeit zur Rast. Wer hier Geborgenheit sucht, muss sie bei sich selber finden. Oder den Wald, die Wiese und den Himmel betrachten. Auf der Aussenseite der Glasfronten tummeln sich Käfer und geflügelte Insekten, verkriechen sich in den Betonritzen oder flattern weiter auf die Dachgärten des Gebäudes.
Eigentlicher Mittelpunkt des Klosters ist die Kirche, wo sich die Architektur des übrigen Baus ins Gegenteil verkehrt. In diesem Saal, dessen graue Betonwände sich über drei Stockwerke in die Höhe strecken, führt kein Blick nach aussen. Einzig durch ein paar farbige Lichtschächte erhellt etwas Tageslicht den Raum.
Gesänge und Gebete
Wir erwachen gerade noch rechtzeitig für das Abendgebet aus unserem Nachmittagsschlaf, steigen drei Stockwerke abwärts und setzen uns eingepackt in unsere Jacken ins Kirchenschiff. Einer nach dem anderen betreten die acht Mönche den Raum und verteilen sich um uns auf die Holzbänke. Jeder in eine weisse Kutte gekleidet, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen – der Moment ist so unwirklich, dass ich mich in den Arm kneife.
Jetzt sicher, nicht zu träumen, lauschen wir schweigend den mächtigen gregorianischen Gesängen und Gebeten, bis die Männer nach einer halben Stunde plötzlich verstummen und einer nach dem anderen, so geräuschlos wie sie gekommen sind, die Kirche wieder verlassen.
Fisch, Spinat und Kartoffeln
Immer noch unter dem Eindruck des Erlebten, begeben wir uns in den Speiseraum und setzen uns mit zwei Chinesen und einer Japanerin an den Tisch. Alle drei haben einen weiten Weg hinter sich, um das Kloster des bis nach Asien berühmten Le Corbusier zu besuchen. Ein Mönch, jetzt wieder ganz weltlich in Jeans und Sandalen, serviert das Essen. Fisch, Spinat und Kartoffeln. Dazu zwei Flaschen Beaujolais, die mein Begleiter fast im Alleingang leert.
Als wir am nächsten Tag gegen Mittag erholt, aber auch etwas erschlagen das Kloster verlassen, blicken wir noch einmal aus der nahen Allee zurück auf den kolossalen Bau. Au revoir La Tourette, auch wenn es nicht nur einfach war mit dir, wir kommen wieder.
- Eintauchen: Den Kern des Klosterlebens erlebt man am besten an einem der täglich drei Gottesdienste.
- Essen: Täglich drei Mahlzeiten. Es gibt, was auf den Tisch kommt.
- Spazieren: Wird es im Kloster zu eng, lädt die idyllische Landschaft des Beaujolais ringsum zum Spaziergang.
- Anschauen: Im Rahmen der Kunstbiennale Lyon stellt der Künstler Anish Kapoor bis Anfang Januar rund ein Dutzend seiner imposanten Skulpturen im Kloster aus.
- Reservieren: Das Kloster ist oft von Gruppen belegt. Am besten schon einen Monat im Voraus reservieren.