Swisso Kalmo ist eine Hilfsorganisation, die in Somalia verschiedene Einrichtungen zur Behandlung von Tuberkulose betreibt. Der Verein beschäftigt heute in Somalia und Kenia 230 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Unser Community-Mitglied Heinrich Frei ist Mitglied bei Swiss Kalmo und hat Bashir Gobdon interviewt.
«Swisso Kalmo» ist eine Hilfsorganisation, die in Somalia verschiedene Einrichtungen zur Behandlung von Tuberkulose betreibt. Der 1995 von Magda Nur-Frei und ihrer Familie gegründete Verein beschäftigt heute in Somalia und Kenia 230 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In der Vergangenheit hat «Swisso Kalmo» häufig mit dem Förderverein «Neue Wege» zusammengearbeitet, der sich allerdings voraussichtlich in diesen Wochen auflösen wird. Unser Community-Mitglied Heinrich Frei ist Mitglied bei «Swisso Kalmo» und hat Bashir Gobdon interviewt.
Der Übersetzer Bashir Gobdon kommt aus Somalia und lebt seit 1988 in der Schweiz, er ist Präsident von «Swisso Kalmo».
Bashir Gobdon, Sie haben im Februar des letzten Jahres Merka besucht. Für dich als Somalier ist es sehr wichtig, dass «Swisso Kalmo» und «Neue Wege» in Somalia weiterarbeiten. Es sind jetzt über zwanzig Jahren vergangen seit Magda Nur-Frei und Verena Karrer in Somalia zu arbeiten begannen.
Ja, ich habe mich im letzten Jahr sehr gefreut, Merka wieder zu besuchen, trotzt der unsicheren Lage. Auch die Mitarbeiter von «Swisso Kalmo» und «Neue Wege» haben sich sehr gefreut, dass jemand aus der Schweiz gekommen ist.
Die Region Lower Shabelle in der Merka liegt, ist ein fruchtbares landwirtschaftliches Gebiet. Wenn Ruhe und Stabilität herrschen würden, könnte das Gebiet von Lower Shabelle ganz Somalia ernähren. Es gibt dort Landwirtschaft mit Viehzucht, das Meer mit der Fischerei, es gibt dort alles. In Somalia sagt man: «In Südsomalia gibt es immer wieder Krieg, weil diese Gegend so reich ist.» Wichtig wäre eine Regierung, die den Reichtum gerechter verteilen könnte.
In Somalia gibt es im Moment keine Stammeskriege. Es gibt aber noch die sogenannte «Reichtumsdiskussion». In Gebieten die nicht mehr von der Al Shaabab beherrscht werden, gibt es Auseinandersetzungen wie: Wem gehört dieses Landwirtschaftsgebiet, wem gehören diese Gebäude. Aber sonst sind die Stammeskriege vorbei.
Was hast du von der Stadt Merka für einen Eindruck bekommen?
Seit die fundamental islamistischen Al-Shaabab-Milizen Merka beherrschten, hat sich vieles verändert. Ich habe im letzten Jahr neu renovierte Gebäude gesehen, neue Restaurants. Die Al Shaabab kontrollierte zwar die Bevölkerung, aber die Geschäftsleute mussten damals keine Milizen, keine Sicherheitsleute bezahlen, die Stadt war sicherer.
Geschäftsleute sagten mir, unter der Al Shaabab habe sich die Situation verbessert, obwohl sie unter Druck dieser Milizen gestanden sind. Die Al Shaabab sind im vorletzten Sommer abgezogen, es waren nur etwa hundert Leute die Merka beherrscht haben.
Auf dem Markt in Merka hat es alles, Früchte und Gemüse, die Bauern in die Stadt bringen. Es ist wunderbar. Auch die Equipe der Strassenreinigung von «Neue Wege» habe ich besucht. Ich weiss natürlich nicht, ob sie jeden Tag so arbeiten wie bei meinem Besuch. Sie sagten mir, dass sie jeden Tag im Einsatz seien und sie würden sich freuen, wenn das Werk weiter laufen könnte, etwas was ich von den Leuten von «Neue Wege» immer wieder hörte.
In der Sanitation, der Stadtreinigung arbeiten heute 29 Personen, ausser den Leitern alles Frauen. 10 Personen der Equipe arbeiten im Programm «One day one dollar». In Merka ist bekannt, dass diese Leute von «Neue Wege» bezahlt werden. So besteht eine soziale Kontrolle, dass sie ihre Aufgabe auch erfüllen müssen. Wie steht es mit den Piraten?
Der Chef der Piraten hat mit der Regierung verhandelt, sie entern jetzt keine Schiffe mehr. Die Regierung hat ihm verziehen. Unglücklicherweise hatten die europäischen Geheimdienste den Chef der Piraten immer noch in ihrem Visier. Sie haben ihn mehrmals in Mogadischu getroffen und haben mit ihm vereinbart, dass sie mit ihm einen Film über die Piraterie drehen wollen. Naiv vertraute er diesen Leuten und reiste nach Europa. Das Filmprojekt war aber eine Falle. Jetzt sitzt er in Belgien hinter Gittern. Die Piraten dachten, sie hätten eine Vereinbarung mit der Regierung getroffen aufzugeben, und jetzt wird dieser Piratenchef dennoch bestraft.
2006 hat die Union der Islamischen Gerichte die Macht in Somalia übernommen. Die Kriegsherren wurden vertrieben. Unter der Herrschaft der Union beruhigte sich die Lage. Ende 2006 intervenierte Äthiopien und vertrieb diese islamischen Gerichte. In Mogadischu kam es zu Greueltaten. Hinter der Invasion der äthiopischen Armee standen damals die USA.
Genau. Immer wenn man sieht, dass in Somalia Fortschritte zu verzeichnen sind, mischen sich ausländische Mächte ein. 2016 sollen neue Wahlen stattfinden. Die Parlamentarier müssen dann entscheiden, ob sie ein föderales System wollen oder nicht. Wir haben gedacht, dass es der Regierung bald möglich sein wird, die somalischen Polizisten und Soldaten zu entlohnen.
Das wäre im Interesse der somalischen Bevölkerung gewesen. Durch die äthiopischen Soldaten im Land steigt Angst auf, man erinnert sich an die schrecklichen Ereignisse von 2007 in Mogadischu, an alles das was damals mit den äthiopischen Soldaten passiert ist. Viele Menschen haben 2007 ihre Angehörigen und ihren Besitz verloren. Viele fragen sich, warum sollen jetzt wieder äthiopische Soldaten kommen.
Und das war ein Entscheid der UNO in New York?
Ja, in New York, die somalische Regierung hatte dazu nichts zu sagen. Die somalische Regierung ist abhängig von den AMISOM Soldaten. Die Al Shaabab hat Terrain verloren. Aber wenn sich jetzt Äthiopien einmischt mit Militärs werden sie wieder neue Anhänger bekommen. Al Shaabab hat die Macht verloren und jetzt kommt Äthiopien. Das ist Wasser auf den Mühlen der Milizen.
Du hast in Mogadischu auch die Medizinstudentin Deka getroffen, eine Absolventin der Sekundarschule in Merka. Sie kann dank eines Stipendiums einer Schweizer Stiftung an einer privaten Universität in Mogadischu studieren.
Ja, ich habe sie getroffen, habe auch gesehen wo sie wohnt, sie lebt in einer sehr armen Familie. Aber ihre Mutter ist sehr glücklich, dass ihre Tochter studieren kann. Ich hatte einen guten Eindruck von dieser jungen Frau.
In Mogadischu hat es viele private Hochschulen und Universitäten, aber man muss zahlen, um studieren zu können. Ich war auch in der Universität, in der Deka studiert und kontaktierte die Leitung und die Professoren. Wir wären froh, wenn diese junge Frau ihr Studium abschliessen könnte und dann in Somalia als Ärztin arbeiten würde. Ich hoffe auch, dass andere junge Menschen mit einem Stipendium diese Möglichkeit bekommen könnten.
Wie war dein Eindruck von dieser Universität? Studieren auch Frauen?
Ich hatte einen guten Eindruck, die Hochschule ist in modernen Gebäuden untergebracht. Diese Universität ist sehr gut besucht. Deka erkannte ich zuerst nicht, weil sie verschleiert war. Ja, auch Frauen studieren, mehrheitlich Frauen. Viele Angehörige der Diaspora in England, und die USA sagen ihren Angehörigen, wenn ihr in Somalia bleibt, zahlen wir ein Stipendium. Das ist der Deal.
Und die Professoren dieser Hochschulen?
Das sind gut ausgebildete Somalier aus der Diaspora die nach Somalia zurückgekehrt sind.
Man kann also an diesen Hochschulen Medizin studieren, früher haben wir gehört Wirtschaftswissenschaften und Landwirtschaft. Gibt es auch technische Hochschulen?
Ja, die gibt es. Jetzt gibt es in Somaliland, in Hargeissa und auch in Mogadischu neben den Universitäten auch handwerkliche Ausbildungen. Ich habe das DEZA, das Departement des Bundes für Entwicklung angefragt, ob sie dies unterstützen könnten. Ich habe auch in diesem Ausbildungsprogramm ehemalige Schüler von «Neue Wege» aus Merka getroffen, die mich wiedererkannt haben. Sie machen dort eine Ausbildung als Schreiner, Zimmermann, als Elektriker. Das hat mich sehr gefreut. Ich habe einige Bilder gemacht und diese der DEZA weitergeleitet.
Wer organisiert diese Ausbildung, Ausländer?
Nein, eine somalische Gruppe organisiert diese Berufsausbildung. In Mogadischu wird jetzt viel gebaut. Zum Beispiel wird ein neues Spital gebaut, es wird das grösste Spital in Ostafrika werden. Bei diesem Bauboom braucht es viele Handwerker die etwas können.
Kommen auch Handwerker aus der Türkei?
Nein, nein, ich habe nur Somalier gesehen. Es gibt Handwerker aus der Türkei die Strassen und Häuser bauen. Aber dort wo ich auf Besuch war, habe ich nur somalische Handwerker gesehen. Viele Handwerksbetriebe sind Familienunternehmen, aber das hat sich jetzt verändert.
Wie ist die politische Situation heute in Somalia?
Wir haben seit einigen Wochen einen neuen Premierminister. Der erste Premierminister war ein Jahr im Amt. In Zukunft wird es 55 Minister geben. Dadurch sollen alle Stämme in der Regierung vertreten sein, auch damit sie nicht auf die Seite der Al Shaabab wechseln. Die grösste Aufgabe ist jetzt in Somalia die Menschen über das föderale System zu informieren, das in gewissen Teilen Somalias bereits funktioniert. Man erwartet jetzt, dass fünf autonome Provinzen gebildet werden.
Sind in der Regierung auch Frauen vertreten?
Ja, es gibt eine Bauministerin.
Wie steht es mit dem extremistischen Islam?
Ich sehe es so: In Somalia ist der Islam kein Problem, aber wenn man mit dem Islam Politik macht schon, so wie jetzt die Europäer die Mitglieder der Al Shaabab bestrafen. Sie setzen auf Führer der Al Shaabab ein Kopfgeld, das dem bezahlt wird der ihn umbringt. Durch diese Massnahme wird diese Person noch zu einem radikaleren Extremisten und die Regierung kann mit ihm nicht verhandeln, wenn er als Terrorist abgestempelt ist. Immer wieder wird wiederholt, dies seien ausländische Extremisten.
Es könnte eine Lösung geben, wenn mit der Al Shaabab verhandelt würde. Ein bekannter islamistischer Führer, Hassan Dahir Awey, wurde in Mogadischu verhaftet. Er war eine Zeitlang auf der Seite der Al Shaabab, dann hat sich von dieser Gruppe abgewandt, deshalb wollte Al Shaabab ihn töten. Er ist auf die Seite der Regierung geflüchtet und viele Somalier haben erwartet, dass man ihm vergeben wird, da er sich gegen die Al Shaabab gestellt hatte. Aber die Regierung hat das nicht gemacht. Viele Al Shaabab Leute die aufgeben möchten, sehen, dass Hassan Dahir Awey noch inhaftiert ist. Sie sagen sich, wir werden so oder so als Verbrecher angesehen, ob wir aufgeben oder nicht.
In Somalia würde ein Mann wie Nelson Mandela gebraucht der eine Versöhnung in Somalia einleiten könnte. Eine Zusammenkunft aller Gruppierungen müsste stattfinden, um eine Friedensvereinbarung abzuschliessen. Man müsste die Stämme zusammenführen, verhandeln und verzeihen. Jede Regierung die in Somalia die an der Macht war, hatte aber von den Europäern und Amerikanern den Auftrag, so etwas dürften sie nicht machen. Warum? Somalia ist kein freies Land. Die Bevölkerung erwartet aber eine Versöhnung der verfeindeten Gruppen.
Es gab einen Bericht des Journalisten Jeremy Scahill, dass der US-Geheimdienst CIA im Mogadischu tätig ist, sie inhaftieren Leute und betreiben in Mogadischu sogar ein eigenes Gefängnis.
Die Regierung Somalias kann ihre Rolle als Regierung nicht übernehmen. Die Regierung sollte das Volk unterstützen, nicht nur nach Brüssel, nach Nairobi reisen. Man hat einen starken Präsidenten erwartet, in den das Volk, die Europäer und die Amerikaner Vertrauen haben. Am Anfang dachten wir, wir haben einen guten Präsidenten, er ist ein Intellektueller, er hat zwanzig Jahre in Mogadischu gelebt, er kennt die Probleme. Aber jetzt sehen wir, er ist schwach.
Der Einfluss der ausländischen Mächte, kein funktionierender Staat…
Die ausländische Mächte wissen was sie wollen, und wer bezahlt hat die Macht.
Gibt es jetzt schon ein funktionierendes Steuersystem? Probiert man dies aufzubauen? Sonst bleibt ja Somalia abhängig von ausländischer Hilfe.
Was ich gesehen habe: Was fehlt, sind Ministerien die sich um Schulen, um Strassenbau und um die Wasserversorgung kümmern. Alles was mit der Regierung zu tun hat, funktioniert wenig. Aber was gut läuft, und wunderbar ist, ist was privat ist. Neue Hotels, moderne Hotels, werden von Angehörigen der Diaspora gebaut. Es gibt auch Handwerksbetriebe. Kleider werden angefertigt. Was den privaten Sektor betrifft hat es in einem Jahr grosse Fortschritte gegeben. Obwohl viel einfach lebende Menschen sagen: Alles ist teurer geworden. Viele Leute der Diaspora sind zurückgekehrt und sie wollen Geld verdienen. Das sind zwei Gruppen der Bevölkerung die sich so zu sagen bekämpfen.
Auch die Telekommunikation mit den Handys ist privat und das funktioniert gut, auch in Merka.
Das ist alles privat. Die Somalier lieben diese modernen Geräte über alles. Ein Handy zu besitzen ist der Traum der Jugend.
Aber jetzt hat Al Shaabab in den Regionen die sie kontrollieren verboten, das Internet und die mobilen Geräte zu benutzen. Al Shaabab hat Angst vor amerikanischen Angriffen mit Drohnen. Wenn ein Handy eingeschaltet ist, kann der Standort des Benutzers geortet werden, und der Besitzer kann mit einer ferngesteuerten Drohne getötet werden. Der Krieg gegen den Terror der USA in Afrika, auch in Somalia, wird vom Africa Command in Stuttgart aus geleitet, auch die aussergerichtlichen Hinrichtungen von Verdächtigen. Diese Drohnenangriffe fordern in Somalia wie in Afghanistan, Pakistan und dem Jemen vor allem vielen Zivilpersonen das Leben. US-Spezialtruppen greifen aber auch direkt in Somalia ein um Verdächtige zu liquidieren.
Die Situation in Somalia
Laut den UNO News vom 18 Februar 2014 sind am Horn von Afrika immer noch Millionen Menschen auf Unterstützung angewiesen, wie John Ging, der Direktor für die Koordination der Humanitären Hilfe (OCHA), erklärte. John Ging ist besorgt, da bis jetzt nur 4 Prozent der benötigten Hilfe eingegangen ist. Heute sei die Situation mit 2011 vergleichbar, als 260‘000 Menschen in Somalia verhungerten. Heute leben in Somalia schätzungsweise 857‘000 Menschen unter „Krisen-und Notfallbedingungen“. Das heisst, viele dieser Menschen leben in ländlichen Gebieten die nur schwer durch Hilfsorganisationen erreichbar sind. Eine Hungersnot herrsche im Land im Moment nicht, aber für rund zwei Millionen Somalis sei die Versorgung mit Lebensmitteln unsicher, so John Ging.
Eine Million intern Vertriebene und eine weitere Millionen Somalier leben in Nachbarländern. Allein im Flüchtlingslager Dadaab in Kenia, in der Grenzregion zu Somalia, leben rund 500‘000 Menschen, zum Teil seit über 20 Jahren. Laut Dr. Abdi Hersi, dem Leiter von «Swisso Kalmo», haben in Somalia internationale medizinische Hilfsorganisation nur Zugang zu 61 von 109 Gebieten. Impfungen können daher nicht im ganzen Land durchgeführt werden.
Waffen die der somalischen Regierung geliefert wurden, gelangen in die Hände der Al-Shaabab: Eine Expertengruppe der Uno beschuldigt Mitglieder der somalischen Regierung, die extremistische Shabab-Miliz mit Waffen zu versorgen. Das gegen Somalia verhängte Waffenembargo war erst letztes Jahr gelockert worden.