Trotz mehrerer US-geführter Luftangriffe auf Stellungen der Terrormiliz des so genannten Islamischen Staates (IS) sind deren Kämpfer weiter in die Stadt Kobane vorgerückt. Am Donnerstag sollen die IS-Milizionäre ihre Kontrolle auf mehr als einen Drittel der syrischen Kurdenstadt ausgedehnt haben.
Dies teilte die oppositionelle Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Grossbritannien mit.
Nach Angaben der Beobachtungsstelle, die sich auf ein Netzwerk von Informanten vor Ort stützt, eroberten die IS-Kämpfer auch den Sitz der kurdischen Sicherheitskräfte in Kobane (arabisch: Ain al-Arab). Am Mittwoch wurden demnach 42 IS-Kämpfer getötet, davon 23 durch Luftangriffe. Zudem seien 15 kurdische Kämpfer getötet worden.
Die US-Armee griff die IS-Kämpfer nach eigenen Angaben am Mittwoch 14 Mal aus der Luft an und zerstörte dabei gepanzerte Fahrzeuge, Lager und Unterkünfte des IS.
Die Kurden in Kobane befürchten ein Massaker, wenn die Stadt den sunnitischen Fanatikern des IS in die Hände fällt. Sie beklagen, dass die USA ihnen nur mit Luftangriffen helfen und dass die Türkei zwar Panzer an der Grenze auffahren lasse, ansonsten aber nichts unternehme, um Kobane zu verteidigen. US-Präsident Barack Obama hatte den Einsatz von Bodentruppen in Syrien ausgeschlossen.
Kobane ist die drittgrösste Kurden-Stadt in Syrien und gehörte vor der IS-Offensive zu den Hochburgen der kurdischen Autonomiebestrebungen. Mit einem Verlust Kobanes und der umliegenden Region könnten die syrischen Kurden ihre in den Wirren des syrischen Bürgerkriegs errungene Selbstverwaltung wieder einbüssen. Der IS würde dagegen mit der Eroberung Kobanes im Norden Syriens ein geschlossenes Gebiet entlang der türkischen Grenze kontrollieren.
US-General verhandelt mit Ankara
Obama entsandte den pensionierten General John Allen in die Türkei. Dieser wurde noch am Donnerstag in Ankara erwartet, um zwei Tage lang mit verschiedenen Verantwortungsträgern über einen Beitritt der Türkei zu dem von Washington geführten Bündnis gegen den IS zu verhandeln.
Die türkische Regierung hatte sich vom Parlament die Erlaubnis eingeholt, gegen den IS Bodentruppen nach Irak und Syrien entsenden zu dürfen. Präsident Recep Tayyip Erdogan forderte, zwischen der Türkei und Syrien eine Pufferzone zu schaffen, in welche die Menschen vor dem syrischen Bürgerkrieg fliehen könnten. Mehr als 1,5 Millionen Syrer sind in den vergangenen drei Jahren in die Türkei geflohen.
Die Türkei setzt sich zwar für einen Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad ein, hat aber kein Interesse daran, die Kurden zu stärken, die seit Jahrzehnten einen eigenen Staat fordern, zu dem auch Teile der Türkei gehören sollen.
Türkei will nicht allein Bodentruppen schicken
Nach Gesprächen mit dem neuen NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte der türkische Aussenminister Mevlut Cavusoglu am Donnerstag, niemand dürfe von der Türkei einen Alleingang erwarten. «Es ist nicht realistisch, dass die Türkei allein eine Bodenoperation durchführt», sagte Cavusoglu. Stoltenberg sagte, die Militärallianz habe die von Ankara geforderte Pufferzone «noch nicht diskutiert».
Die Regierungen in Washington, London und Paris hatten sich aber zuletzt für eine Prüfung des Vorschlags offen gezeigt. Die russische Regierung teilte mit, dass eine solche Pufferzone ohne Einladung der syrischen Regierung zumindest die Zustimmung des UNO-Sicherheitsrates bräuchte, in dem Moskau ein Veto-Recht hat. Russland gehört zu den wichtigsten Verbündeten von Machthaber Assad.
In der Nacht zum Mittwoch gingen in der Türkei die dritte Nacht in Folge hunderte Kurden gegen die Untätigkeit ihrer Regierung in Kobane auf die Strasse. Sie ignorierten damit eine von der Armee verhängte Ausgangssperre. Bei den Kurden-Protesten wurden bisher insgesamt bereits 22 Menschen getötet.