Der italienische Staat verlangt von Stephan Schmidheiny Schadenersatz. Begründet wird dies mit dem Imageschaden, den der italienische Staat auf Grund der Asbestverarbeitung durch die Eternit SpA erlitten habe.
In der Vorverhandlung am Donnerstag in Turin haben sich drei staatliche Instanzen als Zivilpartei konstituiert, wie Lisa Meyerhans, Sprecherin des Schweizer Industriellen Schmidheiny, der Nachrichtenagentur sda mitteilte. Es sind dies das Ministerratspräsidium (Presidenza del Consiglio dei Ministri), die Region Piemont und die Provinz Alessandria.
Die Verteidigung werde sich «selbstverständlich mit allen juristischen Mitteln gegen diese absurde Forderung zur Wehr setzen», betonte Meyerhans. Tatsache sei, dass der italienische Staat sich jahrzehntelang um eine Regulierung der Asbestverarbeitung «foutiert» habe und in Italien neben der Eternit SpA gegen 1000 andere Firmen – darunter zahlreiche staatliche Betriebe – Asbest verarbeitet hätten.
Versäumnisse detailliert nachgezeichnet
Die Versäumnisse des italienischen Staats in der Regulierung der Asbestverarbeitung seien detailliert nachgezeichnet im Urteil des Kassationsgerichts im ersten Eternit-Fall vom 19. November 2014. Der italienische Staat habe demnach die Asbestverarbeitung erst lange nach dem Konkurs der Eternit SpA im Jahr 1986 zu regulieren begonnen.
Zwar habe die EU 1983 die Direktive Nr. 83/477/EWG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen die Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz erlassen. Diese Richtlinie lege die höchstzulässige Asbestfaser-Konzentration in Industrieanlagen fest und hätte in den Mitgliedstaaten bis spätestens Anfang 1987 in nationales Recht übernommen werden sollen.
Mit Urteil vom Dezember 1990 habe der Gerichtshof der Europäischen Union festgestellt, dass Italien diese Richtlinie nicht umgesetzt und damit gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen habe.
Erst 1991 – fünf Jahre nach dem Konkurs der Eternit SpA – habe der italienische Staat eine entsprechende Direktive erlassen; im März 1992 habe er dann ein allgemeines Asbestverbot verfügt.
Imageschaden selbst verschuldet
«Den angeblichen Imageschaden aus der Asbestverarbeitung hat sich der italienische Staat selbst zuzuschreiben», erklärte die Schmidheiny-Sprecherin weiter. Was die Asbestverarbeitung durch die Eternit SpA betreffe, so sei bereits im ersten Verfahren nachgewiesen worden, dass die Fabriken in der sogenannten Schweizer Periode (1973-1986) dank grosser Investitionen in die Sicherheit (75 Milliarden Lire) die international geltenden Sicherheitsstandards für die Asbestverarbeitung eingehalten hätten.
Stephan Schmidheiny droht in Italien ein weiterer Asbest-Prozess. Die Turiner Staatsanwaltschaft wirft ihm vorsätzliche Tötung in Dutzenden Fällen vor. Die am 12. Mai begonnene Vorverhandlung dazu in Turin dürfte mehrere Wochen dauern. Das Gericht wird voraussichtlich im Juli den Entscheid fällen, ob der Prozess vor ein Geschworenengericht kommt, und welche Nebenkläger zugelassen sind.
Es geht um 258 asbestverursachte Todesfälle
In «Eternit bis» («Eternit zum Zweiten») – wie der Prozess in Italien genannt wird – geht es um 258 asbestverursachte Todesfälle in Regionen, in denen sich Asbest-Fabriken der Eternit (Italia) S.p.a. befunden haben. Die von Schmidheiny ab 1976 geführte schweizerische Eternit-Gruppe SEG war von 1973 bis zum Konkurs 1986 zunächst grösster und später deren Hauptaktionär.
Ein erstes Verfahren gegen Schmidheiny war im November 2014 mit einem Freispruch zu Ende gegangen. Das Oberste Gericht in Rom sah die Vorwürfe, vorsätzlich eine bis heute andauernde Umweltkatastrophe verursacht zu haben, als verjährt an.