J.Edgar

Dem 81-jährigen Clint Eastwood darf man nicht übel nehmen, dass er sich nicht mehr die Zeit nehmen will, Schauspieler besser schminken zu lassen. Er will in diesem Leben noch Wichtigeres hinter sich bringen, als mit Computereffekten kunstvolles Spiel zuzupixeln. Er konzentriert sich ganz auf sein grosses Main-Stream Kino. Das glückt ihm mit J.Edgar erneut. Ausserdem […]

Dem 81-jährigen Clint Eastwood darf man nicht übel nehmen, dass er sich nicht mehr die Zeit nehmen will, Schauspieler besser schminken zu lassen. Er will in diesem Leben noch Wichtigeres hinter sich bringen, als mit Computereffekten kunstvolles Spiel zuzupixeln. Er konzentriert sich ganz auf sein grosses Main-Stream Kino. Das glückt ihm mit J.Edgar erneut. Ausserdem hat er, wie immer, grosse Schauspieler vor der Linse, die Schminke vergessen lassen. Diesmal sind es vor allem Naomi Watts, Judi Dench und Leonardo DiCaprio:

Dem 81-jährigen Clint Eastwood darf man nicht übel nehmen, dass er sich nicht mehr die Zeit nehmen will, Schauspieler besser schminken zu lassen. Er will in diesem Leben noch Wichtigeres hinter sich bringen, als mit Computereffekten kunstvolles Spiel zuzupixeln. Er konzentriert sich ganz auf sein grosses Main-Stream Kino. Das glückt ihm mit J.Edgar erneut. Auch hat er, wie immer, grosse Schauspieler vor der Linse. Diesmal sind es vor allem Naomi Watts, Judi Dench und Leonardo DiCaprio: Mit einer bestechenden Verwandlung begibt er sich hinter die Maske eines Saubermannes, der sich an den Verbrechen anderer hocharbeitet, bis er zum Herr über die besten Ermittler des Landes wird, Vorsteher des Federal Bureau of Investigation. Endlich oben angekommen, hat der Aufsteiger so viel Material über die meisten Mächtigen gesammelt, dass er zum versteckten Mitspieler der Potentaten wird.

 

Was DiCaprio abliefert ist solide, klassische Verwandlungskunst. Er dehnt die Stimmlage, wechselt den Sprechrhythmus, verlangsamt seine Lautung, trifft den Ton der Hysterie von damals und deutet mit jeder Bewegung das richtige Lebensalter an. Mal spitzbübische Jugendlichkeit, mal chevalreskes Manntum, mal staatsmännische Kälte. Es sind immerhin mehrere Jahrzehnte, die er in seinem Spiel zusammenfasst. Mit jeder Einstellung werden seine Augen zu misstrauischeren Lupen. Bis ins Detail waltet meisterliche Spielkunst. Verabschiedet er sich z.B. von seinem Biografen, wischt er sich die Hand ab. Einmal, als habe der andere feuchte Hände, ein anderes Mal, als sei er selber ins Schwitzen gekommen. Das ist, ohne Wetten abschliessen zu wollen, oscarwürdig: Da zeigt einer, dass diese Biografie noch ganz andere Tiefen hätt. Das sagt nicht der Film. Das deutet aber der Schauspieler an.

Der Film wird wohl auf der Empfehlungsliste der Academy auftauchen, weil er eine amerikanische Ikone Ikone sein lässt. Auch Naomi Watts an DiCaprios Seite liefert ein hübsches Stück altbackene Schauspielkunst ab: Auch sie lässt die Sinnlichkeit ihrer Figur über den ganze Film hin austrocknen. Und im Hintergrund lauert diabolisch Judy Dench, die Übermutter, gegen die nie eine Frau in Edgars Leben treten durfte.

Historisch allerdings begeht der Film fast jede Sünde. Er ist im Bühnenbild genau, aber nur scheinbar: Die Prohibition war eine Zeit von wilden Ausschweifungen. Die Ausstattung macht uns aber glauben, wir befänden uns unter Klosterbrüdern. Der Rassismus der aufkommenden FBI-Zeit wird mit einem knappen Bild gestreift: Luther King wird im Abseits umgebracht. Über die nachlässige Schutzmacht FBI kein Wort. Schon gar nicht über die Hetzjagd gegen King. Der Film ist politisch das, was er künstlerisch sein darf: Prächtigster Main-Stream. Geschichtsverschönerung. Das muss er tun, wenn er sich in die Reihe amerikanischer Mythenbildungen vor den Western stellen will. Aber Edgar J. Hoover wird er nicht gerecht.

Hoover war ein verbohrter Subversiven-Hasser. Er war ein herrischer, machtbesessner Feind von Lebensfreude – anderer. Darin war er ein Kind seiner Zeit. Selber verklemmt, verbot er anderen jede Ausschweifung (übrigens vergeblich). Er bespitzelte Homosexuelle– ausser sich selbst, ebenso wie lesbische Frauen (zum Beispiel Roosevelts Lebensgefährtin). Dass er selber in den Verruf geriet, mit seinem Busenfreund Clide Tolson eine homosexuelle Beziehung zu pflegen, verschweigt der Film zwar nicht, versteckt aber jede explizite Neigung bis ins Unkenntliche, ja, deutet historisch erwiesene Ausschweifungen nicht einmal in einer Fussnote an, so dass man fast meinen möchte, Homosexuelle seien damals vor allem Mönche der Arbeit gewesen. Ganz zu schweigen von unzähligen Erpressungsversuchen und Erniedrigungen, die Hoovers Nachstellungen damals gegen Andersdenkende und – liebende ermöglichten.

Bezeugt werden von Zeitgenossen mehrere Hoover-Auftritte im Fummel und Highheels. Historisch wird das ebenso verschweigen, wie auch die Hilfestellungen des FBI für McCarthys damalige Säuberungsaktionen gegen kritische Geister. Nicht zuletzt in Ermittlungen gegen Künstler wie Chaplin und Lenny Bruce trug das FBI unzählige Spitzelprotokolle bei. Jean Seberg wurde überwacht, Albert Einstein beschattet, ebenso wie Martin Luther King. Der Film deutet an, dass Politiker unter dem Einfluss des Chefinformanten standen, aber weiter geht er nicht: So wird eine Affäre von Kennedy angedeutet, die in der Tat zu Druckausübung benutz wurde. Unklar bleibt, wer sonst noch angreifbar, ja, hörig gemacht wurde. Truman, Kennedy, Nixon –  die Liste ist lang. Da bleibt grosser Stoff der amerikanischen Geschichte des Kalten Krieges ungehoben. Der Film bemüht nur dünne Andeutungen. Historisch kann er damit nichts erhellen. Der Markt wird es ihm danken. Letztlich trägt der Film dazu bei, die Tradition der Jagd auf Subversive in den USA im Dunkeln zu lassen.

Welche Macht die unzähligen Bespitzelungs-Akten von kritischen Politikern Edgar J. Hoover in die Hand legten, lässt sich nur erahnen, wenn man weiss, dass allein aus der Privatsammlung von Hoover nach seinem Tode vier Schränke von Akten vernichtet wurden, ehe sie Historikern oder gar Politikern der Gegner in die Hände fallen konnten. Da sie nie an den Tag kamen, tut der Film vielleicht gut daran, dies nur zu streifen. Die Antwort, warum der Streifen „J. Edgar“ heisst, und nicht einfach: „Manipulation?“ – oder: „Der Spitzel an der Spitze?“ bleibt Eastwood schuldig. Ein fiktiver Titel hätte wenigstens etwas den historischen Druck genommen und den Film bleiben lassen, was er ist: Ein Stück raffiniert gebaute Fiktion. Hoover starb einen Monat vor dem Watergate-Skandal  – im Amt auf Lebenszeit.

Für die Freunde des aufklärerischen historischen Blicks ein paar Tipps aus der zuständigen Abteilung der UNIBIBLIOTHEK BASEL

„Stalking sociologists“  J. Edgar Hoover’s FBI surveillance of American sociology

„The FBI and Martin Luther King, Jr.“ : from „Solo“ to Memphis / David J. Garrow

J. Edgar Hoover, sex and crime : an historical antidote / Athan Theoharis

 

 

Nächster Artikel