Nach fast fünf Jahrzehnten in der Todeszelle wird der Fall des 78-jährigen Japaners Iwao Hakamada neu aufgerollt. Hakamada war 1968 wegen der Ermordung seines Chefs und dessen Familie zum Tode verurteilt worden. Vorübergehend ist er nun frei.
Unsicheren Schrittes verliess Hakamada am Donnerstag das Gefängnis in Tokio. „Wenn jemand 47 Jahre lang eingesperrt wird, kann niemand erwarten, dass er gesund bleibt“, sagte Hakamadas 81-jährige Schwester Hideko, die seit Jahrzehnten für ihren Bruder kämpft und sich um seine seelische Gesundheit sorgt. Hakamada war 1966 verhaftet und zwei Jahre später zum Tode am Galgen verurteilt worden.
Wie die meisten zum Tode Verurteilten lebte Hakamada die meiste Zeit in Einzelhaft und in permanenter Angst, dass es jeden Tag soweit sein könnte. Denn der Zeitpunkt der Hinrichtung wird den Todeskandidaten in Japan nicht mitgeteilt.
Beweise gefälscht – Geständnis erzwungen?
Das Bezirksgericht von Shizuoka ordnete am Donnerstag an, dass Hakamada einen neuen Prozess erhalten müsse. Der Richter Hiroaki Murayama sagte zur Begründung, die Ermittler hätten bei dem ersten Prozess womöglich zentrale Beweise gefälscht.
Hakamada war dafür verurteilt worden, seinen Boss ausgeraubt und zusammen mit seiner Frau und ihren beiden Kinder ermordet zu haben, bevor er ihr Haus in Brand setzte. Der frühere Boxer bestritt zunächst die Tat.
Nach einem 20 Tage langen Polizeiverhör legte Hakamada ein vermeintliches Geständnis ab, das er zum Auftakt seines Prozess jedoch widerrief. Die Beamten hätten ihn geschlagen und ihm gedroht.
Dennoch wurde das Todesurteil 1980 vom Obersten Gerichtshof bestätigt. Als Hauptbeweise diente blutbefleckte Kleidung, die ein Jahr nach der Tat präsentiert wurde.
Hakamadas Unterstützer argumentierten, dass die Kleidung zu klein für ihn sei und die Blutflecken darauf verdächtig frisch erschienen. Nach Angaben seiner Verteidiger stimmten zudem DNA-Analysen bei späteren forensischen Untersuchungen nicht mit Proben auf Kleidungsstücken überein, die Hakamada getragen haben soll. Diese DNA-Ergebnisse erkannte das Gericht nun an.
Seltene Wiederaufnahme nach Todesurteil
Nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Amnesty International ist Hakamada weltweit derjenige, der am längsten in einer Todeszelle sass. Die Staatsanwaltschaft kann innerhalb von drei Tagen die Entscheidung des Bezirksgerichts anfechten, nach der der Prozess neu aufgerollt werden muss. Amnesty warnte die Staatsanwaltschaft, dies wäre ein „gefühlloses und unfaires“ Vorgehen.
Hakamadas Schwester dankte vor dem Gerichtsgebäude dutzenden Unterstützern über Megafon: „Jedem von Euch einen herzlichen Dank, dies war nur durch Euch möglich, die Ihr mitgeholfen habt – ich bin so glücklich!“
Japan ist neben den USA die einzige grosse Industrienation, die noch Hinrichtungen vornimmt, 2013 in acht Fällen. Es ist erst das sechste Mal in der Nachkriegsgeschichte Japans, dass ein Gericht der Wiederaufnahme des Falls eines Häftlings zugestimmt hat, dessen Todesstrafe bereits rechtskräftig verhängt wurde. In vier der fünf vorherigen Fälle waren die Verurteilten freigesprochen worden.