Josefine, die Jüdin trotz allem

Trotz einer prägenden negativen Erfahrung im Jugendalter mit einem orthodoxen Juden sammelt Josefine jeden Tag Geld für jüdische Organisationen, wenn sie nicht gerade in ihr Gebetsbuch vertieft ist. Schon von Weitem hört man auf dem Markt das fröhliche Klimpern der Münzen im Plastikbecher von Josefine. Sie sitzt auf einer grünen Getränkekiste, in der einen Hand […]

Jeden Tag im Einsatz: Josefine mit Plastikbecher und ihrem Gebetsbuch.

Trotz einer prägenden negativen Erfahrung im Jugendalter mit einem orthodoxen Juden sammelt Josefine jeden Tag Geld für jüdische Organisationen, wenn sie nicht gerade in ihr Gebetsbuch vertieft ist.

Schon von Weitem hört man auf dem Markt das fröhliche Klimpern der Münzen im Plastikbecher von Josefine. Sie sitzt auf einer grünen Getränkekiste, in der einen Hand hält sie den Plastikbecher und schüttelt ihn geduldig, in der anderen Hand liegt offen ein Gebetsbuch; darin vertieft sie sich sofort, wenn ihre Hand eine Pause vom Schütteln benötigt.

Als ich sie anspreche, ist sie gleichermassen erschrocken wie erfreut, dass sich jemand für sie interessiert und sie «sogar in der Zeitung kommen wird». Erschrocken deswegen – sie kramt ihr bestes Englisch zusammen –, weil ihre Familie nicht erfahren darf, was sie im Begriffe ist zu erzählen. Sie bittet darum, kein Foto von ihr zu machen, damit niemand sie erkennt.

Heiraten und kein Schweinefleisch mehr essen

Josefine kneift die Augen zusammen, um sich besser erinnern zu können. «Ich denke, ich war 23 Jahre alt, als es passierte. Es war noch kein halbes Jahr vergangen, seit ich alleine aus Argentinien gekommen war, um an der Universität in Jerusalem zu studieren. Ich sass auf einer Parkbank und habe in meinem Buch gelesen, als Jossi auf mich zukam.»

Den Namen, fügt sie an, habe sie nicht vergessen. Jossi sprach sie an und Josefine war mehr als erstaunt – ein orthodoxer Jude spricht mit ihr, einer Nicht-Jüdin?

Das Gespräch entwickelte sich, man unterhielt sich in einfachem Hebräisch über das Weltgeschehen, über Israel und Jerusalem im Besonderen. Jossi wollte wissen, ob sie schon einmal Schweinefleisch gegessen hatte – eine nicht koschere und für ihn verbotene Speise – und ob sie es mochte. «Schliesslich fragte er mich nach meinem Freund, ob wir zusammen lebten, ob ich für ihn kochte, er wollte sogar wissen, ob wir schon miteinander geschlafen hatten.»

Josefine mutete dies etwas seltsam an, doch sie antwortete auf Jossis Fragen in der Annahme, dass es für ihn einfach eine fremde Welt sei, die ihn faszinieren musste. Jossi liess sich auch nicht lumpen und gab Josefine ungefragt viele Ratschläge – etwa denjenigen, so schnell wie möglich zu heiraten und kein Schweinefleisch mehr zu essen.

Dennoch wurde sie später Jüdin

Schliesslich entschloss Josefine, aufzubrechen. Sie wusste, dass orthodoxe jüdische Männer keine Frauen ausser ihrer Ehefrau berühren dürfen und war deshalb umso erstaunter, als Jossi ihr zum Abschied die Hand hinstreckte. Als sie diese ergriff, beugte Jossi sich herab und begann ihr Gesicht mit Küssen zu bedecken.

«Ich war zu erschrocken, um mich gleich zu wehren», erzählte Josefine und schüttelt sich bei der Erinnerung. Erst, als er begann sie an Brüsten und Hüften zu berühren, stiess sie ihn weg und lief davon. Noch heute kann sie nicht verstehen, weshalb er – ein offensichtlich religiöser Mann – so etwas getan hatte, das komplett seinem Glauben und Lebensgrundsätzen widersprechen musste. «Er war doch so freundlich und wir haben uns so gut unterhalten», erklärt sie beinahe entschuldigend.

Dieses Erlebnis, welches Josefine noch lange beschäftigte, hatte keinen Einfluss auf ihr Interesse am jüdischen Glauben und seinen Traditionen und Bräuchen. Einige Jahre später konvertierte sie und lebt seither ein nach jüdischen Grundsätzen ausgerichtetes Leben. Doch dessen nicht genug: Jeden Tag macht sie sich auf zum Markt, wo sie mit ihrem Plastikbecher und dem Gebetsbuch Stellung bezieht und Spenden sammelt für jüdische Organisationen und Institutionen.

Ich bringe meinen Respekt darüber zum Ausdruck, über ihr Konvertieren und ihren Einsatz für das Judentum, trotz diesem Erlebnis in ihren jungen Jahren. Josefine lächelt und erwidert: «Aber weshalb denn? Jossi war ja kein Repräsentant der Juden – im Gegenteil, er tat mir danach Leid, weil er bestimmt gegen seine eigenen Prinzipien gehandelt hatte.» Dann erklärt sie unser Gespräch für beendet, spricht einen Segen für mich und vertieft sich wieder in ihr Gebetsbuch. Ihre andere Hand schüttelt den Becher zugleich automatisch und die Münzen klimpern.

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