Die lateinischsprachigen Kantone haben genug vom Sprachenstreit. Notfalls soll der Bund einschreiten, fordern die Kantone Waadt, Neuenburg, Genf und Jura. Die grosse Mehrheit der Deutschschweizer Kantone will davon aber nichts wissen.
Entsprechend gegensätzlich sind die Antworten in der Vernehmlassung zum revidierten Sprachengesetz, die am Freitag dieser Woche abläuft. Bildungsminister Alain Berset will darin festlegen, dass jedes Schulkind in der Schweiz bereits in der Primarschule eine zweite Landessprache lernt.
Viele Deutschschweizer Kantone sehen ihre kantonale Schulhoheit durch eine nationale Regelung gefährdet. Eine Bundesintervention sei «übereilt», «verfehlt», «unverhältnismässig» und «ein Bruch mit der föderalistischen Tradition», heisst es in den Stellungnahmen, die der Nachrichtenagentur SDA vorliegen.
Zudem sei die gemäss Bundesverfassung verlangte Harmonisierung bereits weit fortgeschritten, betonen mehrere Vernehmlassungsteilnehmer. Tatsächlich wird in 22 der 26 Kantone nach dem Modell 3/5 unterrichtet, wonach eine erste Fremdsprache in der dritten, eine zweite in der fünften Primarschule eingeführt wird. Eine der beiden Fremdsprachen muss eine Landessprache sein.
Frühfranzösisch auf der Kippe
Allerdings steht in mehreren Kantonen das Frühfranzösisch auf der Kippe. In Zürich, Luzern, St. Gallen, Graubünden und im Thurgau gibt es Bestrebungen, eine Fremdsprache auf die Oberstufe zu verlegen. Einzelne Kantone wie Uri und Appenzell Innerrhoden haben Frühfranzösisch erst gar nicht eingeführt und sehen auch keinen Grund, daran etwas zu ändern.
Gesamthaft elf Kantone aus der Deutschschweiz sprechen sich gegen eine Intervention des Bundes aus. Die Stellungnahmen der Kantone St. Gallen, Schwyz, Obwalden, Nidwalden und Appenzell Ausserrhoden standen noch aus.
Skepsis in der West- und Südschweiz
In der lateinischsprachigen Schweiz kommt diese Entwicklung nicht gut an. Deutlich positiver wird deshalb ein Eingreifen des Bundes gewertet. Zwar sehen auch die französischsprachigen Kantone und das Tessin vor allem die Kantone in der Pflicht, eine einheitliche Lösung zu finden.
Ob der Bundesrat den Kantonen noch mehr Zeit zugesteht, ist allerdings offen. Bildungsminister Berset droht bereits seit zwei Jahren mit einem Eingriff, sollten die Kantone nicht selbst zu einer gemeinsamen Lösung im Sprachenstreit finden. Passiert ist bei den Kantonen seither wenig bis nichts.
Deshalb sprechen sich die Kantone Waadt, Neuenburg, Genf und Jura für eine Intervention des Bundes aus. Die beiden zweisprachigen Kantone Freiburg und Wallis stellen die Autonomie der Kantone an erster Stelle und lehnen eine Intervention deshalb ab.
Rückendeckung für den Bundesrat
Unterstützung für eine Intervention erhält der Bundesrat von den Lehrerverbänden und der Wirtschaft. Nur noch eine Landessprache auf der Primarstufe zu unterrichten, erachten sie als nicht zielführend. Der Bildungsraum Schweiz müsse die Durchlässigkeit und geografische Mobilität der Bevölkerung ermöglichen, teilte der Arbeitgeberverband der SDA mit.
Bei den Parteien stossen die drei Varianten, die der Bundesrat vorschlägt, auf unterschiedlichen Anklang. Die SVP will gar nichts wissen von einer Bundesintervention. Ähnlich ablehnend zeigt sich die FDP. Sie würde aber notfalls die dritte Variante befürworten.
Diese legt lediglich fest, dass der Unterricht in der zweiten Landessprache in der Primarschule beginnt und Ende der Sekundarstufe I dauern muss. Diese offene Variante wird auch von CVP, BDP und Grünliberalen unterstützt.
SP und Grüne sprechen sich dagegen für das Modell 3/5 aus, zeigen sich aber auch für den dritten Vorschlag offen. Alle bisher vorliegenden Parteireaktionen verlangen aber, dass die Kantone selbst einen Ausweg aus dem Sprachenstreit finden.