Kinder sollen in allen sie betreffenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren angehört werden. Mit dieser Forderung hat sich am Donnerstag die Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ) an die Öffentlichkeit gewandt.
Vor allem wenn sich Eltern trennen oder scheiden, ist die Anhörung heute nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Nur gerade in 10 Prozent der jährlich rund 14’000 Trennungs- oder Scheidungsverfahren würden die Kinder angehört, sagte Jean Zermatten, der während 25 Jahren das Walliser Jugendgericht präsidierte und das Komitee der UNO für die Rechte des Kindes präsidiert.
Die Gründe für diese tiefe Anhörungsquote sind vielfältig. Einerseits würden viele Beteiligte die Rechtslage falsch einschätzen und nicht davon ausgehen, dass die rechtliche Anhörung der Kinder obligatorisch sei.
Zurückhaltende Richter
Viele Gerichte sind laut der Basler Richterin und Rechtsprofessorin Michelle Cottier zudem zurückhaltend, weil sie davon ausgingen, dass die Kinder durch die Befragung unnötig belastet würden. Diese Vorstellung sei falsch.
Studien zeigten, dass es für die Kinder wichtig sei, angehört zu werden. Auch die früheren Verdingkinder bezeichneten heute oft den Umstand als besonders verletzend, dass sie nie um ihre Meinung gefragt worden seien.
Laut Cottier und Zermatten ist die richterliche Zurückhaltung wahrscheinlich auch eine Folge von fehlender Ausbildung für diese schwierige Aufgabe.
Als weiteren Grund für die tiefe Anhörungsquote nannten die von der EKKJ als Experten beigezogenen Zermatten und Cottier den Verzicht der Kinder auf ihr Anhörungsrecht. Laut Cottier könnte die Verzichtsquote gesenkt werden, wenn die Kinder zu einem Termin eingeladen werden. Es solle nicht reichen, auf einem Formular den Verzicht mit einem Kreuz an der richtigen Stelle kundzutun.
Kinder ernst nehmen
Laut dem Aargauer Bezirksrichter Luca Cirigliano zeigt die Praxis, dass Kinder meist wüssten was sie wollten und dies auch gut ausdrücken könnten.
Die Meinung der Kinder ernst zu nehmen, bedeutet laut Cirigliano aber nicht, den Kindern die Entscheide zu überlassen. Dies wäre ein falsches Verständnis des Anhörungsrechts, wie es in Artikel 12 der UNO-Kinderrechtskonvention verankert ist, welche die Schweiz 1997 ratifiziert hat.