Knüsels Grüselkabinett

Vier ausgewiesene Experten prognostizieren in einem demnächst erscheinenden Buch mit dem gleichlautenden letalen Titel den „Kulturinfarkt“. Warum? „Kultur“, so das ausgewiesene Quartett, „habe ihre Gestaltungskraft verloren“, ja, schlimmer noch, der „Glaube daran“ sei abhanden gekommen. Die Botschaft hör‘ ich wohl, allein, mir fehlt der Glaube!   Stadttheater Solothurn nach Knüsels Intervention Vier ausgewiesene Experten prognostizieren […]

Vier ausgewiesene Experten prognostizieren in einem demnächst erscheinenden Buch mit dem gleichlautenden letalen Titel den „Kulturinfarkt“. Warum? „Kultur“, so das ausgewiesene Quartett, „habe ihre Gestaltungskraft verloren“, ja, schlimmer noch, der „Glaube daran“ sei abhanden gekommen. Die Botschaft hör‘ ich wohl, allein, mir fehlt der Glaube!

 

Stadttheater Solothurn nach Knüsels Intervention

Stadttheater Solothurn nach Knüsels Intervention

Vier ausgewiesene Experten prognostizieren in einem kürzlich erscheinenden Buch mit dem gleichlautenden letalen Titel den „Kulturinfarkt“. Warum? „Kultur“, so das ausgewiesene Quartett, „habe ihre Gestaltungskraft verloren“, ja, schlimmer noch, der „Glaube daran“ sei abhanden gekommen. Die Botschaft hör‘ ich wohl, allein, mir fehlt der Glaube!

 

Als Grund für das Verblassen der Kultur nennen die vier Ausgewiesenen: Eine „Flutung“ mit Kultur habe seit 1970 stattgefunden. Die Herren meinen subventionierte Kultur, wenn sie Kultur meinen, und sie meinen mit Kultur …. Gulp! Ja, was denn? Haben wir in Basel zu viele Rockpaläste? Sehen wir überall Horden von Kindern, die aus Kindertheatern kommend auf den Strassen randalieren? Oder findet in Strassenbahnen zur Zeit eine Überflutung durch Lyrik-Übersetzerinnen und Kurz-Prosaisten statt? Wimmelt es in den Clubs der Stadt von Balletttänzerinnen, oder treiben Marionettenspieler ihr fadenscheiniges Gewerbe neuerdings auch auf Büroetagen? Verstopfen unsere Laientheatertruppen die Strassen? Haben wir keine Parkplätze mehr, weil Bodenmaler ihre Gemälde nicht freigeben wollen?

 

Der „Spiegel“ präsentiert im Vorabdruck aus dem  „Kulturinfarkt“ prima Lösung gegen die lästige Kulturüberflutung: Die Hälfte aller Museen und Theater sind zu schliessen! Dadurch, denken uns die ausgewiesenen Experten vor, wird die andere Hälfte der Kulturlandschaft aufgeschreckt – das heisst: nur, was verkauft wird, bleibt dann am Leben. Ganz dem Gesetze folgend, dass, je knapper eine Ware sei, sie auch teurer zu verkaufen wäre. Das Kurzweil-Konzept, das dahinter steckt, ist in Heckenschützenkreisen schon länger beliebt: Knallt man einzelne Passanten ab, verwandeln sich die restlichen Fussgänger automatisch in Fussrenner. Konkurrenz belebt das Geschäft. Was überlebt wird besser, weil die Konsumenten dafür bezahlen wollen. „Hier“, so versichert Pius Knüsel im „Tages-Anzeiger“ von gestern beschwichtigend, „handle es sich nur um ein Gedankenmodell, welches mit Tabus brechen wolle“. Das ist gelungen. Und will uns hauptsächlich sagen, dass Kunst, die subventioniert sei, untauglich sei, weil sie ja sich nicht verkauft habe. Beispiel? Mir fällt da der Tinguely-Brunnen ein, für den der Steuerzahler jährlich zahlt, damit er überhaupt läuft. Kein Erfolgsmodell.

 

Pius Knüsel, der seit Jahren die „Flutung“ der Schweiz durch Kultur, die sich schlecht verkauft,  als Leiter der PRO HELVETIA zu verantworten hat, bewirft sich nun gleich selber mit Dreck. Er ist nämlich einer aus dem ausgewiesenen Autoren-Quartett, dem dieses Gedankenspiel eingefallen ist. Er muss im Moment viel Kritik einstecken. Aber warum eigentlich? Was wird ihm, der ein Jahresgehalt bezieht, das etwa sechs Balletttänzerinnen oder fünf Jazzmusiker, oder siebzehn Lyriker oder ein ganzes Kindertheater am Leben erhalten würde, noch einfallen, wenn er erst einmal richtig anfängt Tabus zu brechen? Herr Knüsel möchte sicher lieber noch ganz andere Gedankenspiele zu unserer Lockerung betreiben, und weitere kulturelle Tabus brechen. Schlägt er auch folgendes vor?:

  1. Wir verwenden die 3400 Millionen der Gripen-Flugzeuge für eine „Flutung der Schweiz mit Kultur“. Das Budget der PRO HELVETIA KÖNNTE SO WÄHREND DER NÄCHSTEN HUNDERT JAHRE VERDOPPELT ODER WÄHREND ZEHN JAHREN VON 34 AUF 340 MILLIONEN JÄHRLICH VERZEHNFACHT WERDEN.
  2. Erst werden die Städte, dann die ländlichen Gegenden mit Kultur überflutet.
  3. Wir können von der Nationalbank lernen: Sie überflutet zur Zeit die Finanzmärkte mit billigem Geld. Die derart subventionierten Banken gehören nun zur subventionierten Kultur. Lieder muss die Hälfte nun geschlossen werden.
  4. Der Bund verdoppelt Aufwendungen von Firmen, die Kultur sponsern, oder öffentliche Plattformen für ihre Kreativ-Abteilungen schaffen.
  5. Jedes Kind erhält eine einjährige, kostenlose Ausbildung auf einem Musikinstrument seiner Wahl (Nicht alle werden Piccolo und Trommel wählen, aber viele) und fährt jedes Jahr für eine Woche in ein Land, wo diese Instrument gespielt wird, um mit dortigen Musikern zu spielen.
  6. Der Bund finanziert Kulturaustauschprogramme mit den Ländern, mit denen wir Entwicklungshilfeabkommen haben. Jeder Jugendliche darf, anstatt in den Militärdienst, einmal im Leben siebzehn Wochen mit Kulturinteressierten an einem Kulturaustausch mit einem anderen Land teilnehmen.
  7. Jeder Betrieb ab 400 Angestellten unterhält ein eigenes Laientheater, oder einfach einen Cultural-Brain-Pool, ein Laienorchester, einen Jazz-Club, oder Event-Brain-Trust, die in jährlichen, regionalen Festivals (während vier Tage Betriebsferien) den Betrieb gegen aussen künstlerisch spiegeln. 
  8. Jede Angestellte hat das Recht bezahlte fünf Stunden pro Woche kulturell tätig zu sein.

 

Keine Angst. Pius Knüsel hat diese Gedankenspiele nicht gemacht. Er hat sich jetzt erst mal als ein ausgewiesener Tabubrecher empfohlen, indem er die halbe subventionierte Kultur abschaffen will. Was er – ausser Tabus zu brechen – will, ist er uns schuldig geblieben. In seinem Bericht benennt das Quartett nur in einem Satz, was es will –  ich zitiere den „Kulturinfarkt“ nach dem „Spiegel“: “Die Herstellung und den Vertrieb von ästhetischen Erlebnissen in Warenform mit dem Willen zum Erfolg“ Solange solche Sätze von Kulturmanagern formuliert werden, brauchen wir – dringend – subventionierte Theater: Dort soll dann der „Kulturinfarkt“ „mit dem Willen zum Erfolg“ von Hansjörg Schneider (Basel) dramatisiert werden, durch Christoph Marthaler (Basel) mit „ästhetischen Erlebnissen“ inzeniert, und in einer Installation von Roman Signer „hergestellt und vertrieben“ werden! Der Satz würde von Ueli Jäggi (Basel) und Jürg Kienberger (St. Louis) und dem Extra-Chor der Basler Theater gesungen – in Warenform. Alle genannten arbeiten zur Zeit noch an subventionierten Häusern, die demnächst geschlossen werden. Vielleicht, obwohl sie den „Kulturinfarkt“ gespielt haben werden. Das macht aber nichts. Die Schliessung wird dann die anderen Theater anfeuern.

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