Kommentar: Das Schweigen der AKW-Kontrolleure

Der Bundesrat will bis Ende ­Monat den Aufsichtsrat des Eid­genössischen Nuklear­sicherheits­inspektorats (Ensi) mit neuen Mitgliedern besetzen, die nicht mit der Atomindustrie verbandelt sind. Das ist eine gute Nachricht. Denn um die Unabhängigkeit der Atomaufsicht ist es schlecht bestellt: Die Kontrolleure stehen im Verdacht, zu enge Beziehungen zu den Kontrollierten zu pflegen. Doch diese Personalrochade allein […]

Der Bundesrat will bis Ende ­Monat den Aufsichtsrat des Eid­genössischen Nuklear­sicherheits­inspektorats (Ensi) mit neuen Mitgliedern besetzen, die nicht mit der Atomindustrie verbandelt sind. Das ist eine gute Nachricht. Denn um die Unabhängigkeit der Atomaufsicht ist es schlecht bestellt: Die Kontrolleure stehen im Verdacht, zu enge Beziehungen zu den Kontrollierten zu pflegen. Doch diese Personalrochade allein löst das Hauptproblem der Atomaufsicht nicht: ihr verkrampftes Verhältnis zur Öffentlichkeit. Journalisten, die in Sachen AKW-Sicherheit recherchieren, prallen an eine chinesische Mauer. Das hat sich auch nach Fukushima nicht verändert. Die Atomaufsicht informiert stets nach demselben Prinzip – grundsätzlich gar nicht. Ausser es lässt sich nicht anders verhindern. Dann legen die Kontrolleure genau so viel offen, wie sie müssen. Deutlich wurde das erneut im August, als das baufällige Berner AKW Mühleberg nachgerüstet werden musste. Informiert wurde auch nach beharr­lichem Nachfragen nicht; kommuniziert wurde erst, nachdem das Werk wieder am Netz war.

Auch wer es eine Instanz höher versucht, beim Bundesamt für Energie, stösst auf eine Mauer des Schweigens. Diese Erfahrung machte jüngst Thomas Angeli. Der Kollege vom «Beobachter» forderte Einblick in die Protokolle der Kommission für die nukleare ­Sicherheit aus dem Jahr 2011. Auch dieses Fachgremium berät den Bundesrat in Fragen der Atomsicherheit, und es hat den Auftrag, die Arbeit der Atomaufsicht kritisch zu beurteilen. Um ­seiner Förderung Nachdruck zu verleihen, berief sich der Journalist auf das Bundesgesetz über die ­Öffentlichkeit der Verwaltung. Das Bundesamt reagierte prompt und schickte ein 98-seitiges Dossier. Dummerweise waren 33 Seiten davon gänzlich eingeschwärzt und nur 52 Seiten teilweise entzifferbar. Der Antragsteller war so schlau wie vorher – und ein paar hundert Franken ärmer: Die Bearbeitungsgebühr für diese Null­information betrug 400 Franken.

«Sicherheit ist kein Zustand, sondern ein Prozess», schreibt Ensi-Direktor Hans Wanner auf der Website seiner Aufsichts­behörde. Dasselbe gilt auch für die Öffentlichkeitsarbeit der Atomkontrolleure. Das Ensi muss seine Informationspolitik ändern. Nach Fukushima lässt sich die Bevölkerung nicht mehr mit pauschalen Erklärungen wie die «nukleare ­Sicherheit in der Schweiz ist g­ewährleistet» abspeisen. Solche Alles-ist-gut-Floskeln erinnern ­unangenehm an Sowjetpropa­ganda. Und wohin eine solche ­Informationspolitik führen kann, hat die Katastrophe von Tschernobyl in brutaler Deutlichkeit gezeigt.

Quellen

Thomas Angelis Gesuch beim Bundesamt für Energie um Einsicht in die Protokolle der Atomaufsicht.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18/11/11

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