Kommentatoren sind uneins über Le Pens Chancen in der Stichwahl

Die Konservativen und die Sozialisten sind nach dem ersten Wahlgang in Frankreich am Boden, geschlagen von zwei unterschiedlichen Siegern. Was die Chancen von Marine Le Pen und Emmanuel Macron in der Stichwahl angeht, darüber sind die Zeitungskommentatoren uneins.

Zwei Gesichter prägen die Titelseiten der Tageszeitungen nach dem ersten Wahlgang in Frankreich: Jene von Emmanuel Macron und Marine Le Pen. (Bild: sda)

Die Konservativen und die Sozialisten sind nach dem ersten Wahlgang in Frankreich am Boden, geschlagen von zwei unterschiedlichen Siegern. Was die Chancen von Marine Le Pen und Emmanuel Macron in der Stichwahl angeht, darüber sind die Zeitungskommentatoren uneins.

«Neue Zürcher Zeitung»:

«Die Präsidentenwahl in Frankreich wird zum Plebiszit über die Europäische Union. (…) Nicht nur haben die Kandidaten beider Parteien nicht überzeugt, es ist auch die Strafe für zehn Jahre Stillstand unter den Präsidenten Sarkozy und Hollande. (…) ein Wahlsieg Le Pens liegt im Bereich des Möglichen – falls genügend enttäuschte Bürgerliche zu ihr überlaufen und genügend enttäuschte Linke sich der Stimme enthalten.»

«Tages-Anzeiger» / «Bund»:

«Es wäre eine gewaltige Überraschung, wenn es nun in Frankreich nicht zu einem politisch-sozialen Schulterschluss käme, um Marine Le Pen als Präsidentin zu verhindern. (…) Das Resultat des ersten Durchgangs zeigt zwar den Verdruss der französischen Wählerschaft gegenüber der etablierten Politik, die Unzufriedenheit mit den ökonomischen und sozialen Zuständen (…) Und trotzdem haben die Stimmbürger mit Macron einen Kandidaten in die Favoritenrolle versetzt, der von seiner Herkunft und Biographie her ein typischer Exponent des Establishments ist.»

«Blick»:

«Betrachten wir das Resultat mit dem Abstand einiger Monate, ist es eine Sensation: eine Pleite für die Rechtspopulistin Marine Le Pen, ein Debakel für die Konservativen – und ein Wunder für Liberale und Europa-Freunde. (…) Ein halbes Jahr nach Donald Trumps Wahl zeigt sich also: Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Abschottung sind nicht unvermeidlich. Und, für uns Schweizer nicht unwichtig: Die EU ist noch lange nicht am Ende.»

«Basler Zeitung»:

«Dass die Stichwahl zwischen zwei Kandidaten ausgetragen wird, die beide nicht traditionellen Parteien angehören, ist bezeichnend für die Krise des Systems, das fast von allen der elf Kandidaten infrage gestellt oder vehement attackiert worden war. (…) Damit wird die Wahl für die Französinnen und Franzosen zwar einfacher, aber nicht unbedingt leichter, denn sicher hätten sich viele eine andere Ausgangslage für die Stichwahl gewünscht.»

«Nordwestschweiz» / «Südostschweiz» / «Berner Zeitung» / «Luzerner Zeitung» / «Der Landbote» / «St. Galler Tagblatt»:

«Dass die Front-National-Kandidatin erfahrene Gegner wie François Fillon und Jean-Luc Mélenchon aus dem Rennen geworfen hat, muss nicht nur den etablierten, brutal eliminierten Parteien in Frankreich, sondern ganz Europa zu denken geben. (…) die französischen Wähler (…) werden sich entscheiden müssen. Macron ist dabei im Vorteil. Aber Frankreichs Wähler sind zu verunsichert und zu wütend, als dass man sich des Wahlausgangs sicher sein könnte.»

«Walliser Bote»:

«Emmanuel Macron nutzte mit einem erfrischenden Wahlkampf die eklatante Schwäche der etablierten Parteien und positionierte sich endgültig in der Favoritenrolle für die Stichwahl in zwei Wochen. Es ist unwahrscheinlich, dass Marine Le Pen im zweiten Wahlgang grössere Unterstützung von anderen Wählermilieus erhalten wird. Ein Hinweis dafür ist die Stellungnahme François Fillons (…) Er sprach sich gestern Abend schnell und eindeutig für Macron und gegen Le Pen aus. Das linke Lager dürfte erst recht keine Mühe mit Macron haben.»

«Le Temps»:

Der erste Wahlgang in Frankreich hat «eine tiefgreifende Veränderung» gebracht. Die Welle der Unzufriedenheit wird «die Konturen des Landes langfristig verändern», denn «die politische Software der fünften Republik ist kaputt». «Die Wut auf die traditionellen Parteien, die Desillusionierung gegenüber korrupter Politiker und der Wille, etwas anderes auszuprobieren, haben zur Wahl der beiden Persönlichkeiten geführt», deren Visionen sich radikal widersprechen.

«Le Courrier»:

«Der Kater der Franzosen könnte schmerzhaft ausfallen, wenn sie sich dereinst mit den antisozialen Visionen des Champions von ‚En Marche!‘ konfrontiert sehen» (…), zumal Macron als Ex-Wirtschaftsminister führend war bei der «Lex El Khomri», dem Gesetz zur Reform des Arbeitsmarktes.

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