Ein Mann beschäftigt innert sechs Tagen gleich zweimal die Zeitungskommentatoren: Der Rücktritt von FIFA-Präsident Sepp Blatter wird von St. Gallen bis Genf und von Chur bis Basel als überfällig und überraschend gewertet. Auch die internationale Presse stimmt mit ein.
«Es ist ein überraschender Abgang, den niemand erwartet hat. Die Einsicht spricht für Blatter. Aber wenn es ihm wirklich um die Fifa und die Fussballwelt gegangen wäre, hätte er sein Amt vor der Wiederwahl niedergelegt. Dann hätte er auf diese letzte One-Man-Show verzichtet», heisst es in der Zeitung Nordwestschweiz vom Mittwoch.
«Die Zeit für einen Rücktritt wäre schon zum Ende seiner letzten Amtszeit als Präsident reif gewesen», schreibt auch die Neue Zürcher Zeitung. Zuletzt sei Blatter «eine Belastung für die Institution» gewesen.
«Keine Sportorganisation kämpft mit einem derart schlechten Image wie die Fifa. Sepp Blatter, der 18 Jahre Präsident und zuvor ebenso lang Generalsekretär war, trug dafür die Hauptverantwortung», kommentiert das St. Galler Tagblatt.
«Den berühmten Tropfen, der das Fass überlaufen liess, war wohl der dringende Verdacht gegen seinen Generalsekretär Jérôme Valcke, Schmiergelder bezahlt zu haben. Blatter selbst muss nun den heissen Atem der Strafverfolgung im Nacken gespürt haben», kommentiert die Südostschweiz.
Die New York Times bringt einen weiteren möglichen Grund ins Spiel: «Hatten die grossen Sponsoren am Ende – zwar verspätet – eine Macht, die noch grösser war als jene von Blatter selbst?»
Der Fifa-Präsident «wusste, dass diese Affäre seine fünfte Amtszeit vergiften wird», schreibt Le Temps. Die Westschweizer Zeitung wertet den Rücktritt als Schuldbekenntnis. In die gleiche Kerbe schlagen auch die Zeitungen L’Impartial und L’Express: Blatter «konnte nicht mehr ignorieren, was um ihn herum geschah und war dabei möglicherweise gar eine der Hauptfiguren».
«Nur feige»
Für die Neue Luzerner Zeitung ist klar: «Ohne massiven Druck von aussen wirkt der Zeitpunkt von Blatters Ankündigung, so kurz nach seiner Wahl, jedenfalls kaum nachvollziehbar.»
«Blatters Rücktritt ist kein Zeichen der Stärke. Er ist auch nicht mutig, nur feige», meint die Basler Zeitung. «Die noch grösseren Verlierer sind aber die Vertreter jener Kontinentalverbände zwischen Asien, Südamerika und Afrika, die Blatter am Freitag wählten und ihn mit Rosenblättern bewarfen. Sie liefen einem Heuchler hinterher.»
Blatter habe vielleicht deshalb nicht auf eine Wiederwahl verzichtet, «weil ihm bewusst gewesen ist, dass der einzige verbliebene Gegenkandidat, der blasse Prinz Ali bin-al Hussein aus dem Fussballentwicklungsland Jordanien, nie und nimmer das Format zum Fifa-Präsidenten mitbringen würde. Und schon gar nicht die Kraft hätte, die überfälligen Reformen im Verband durchzusetzen», mutmasst die Berner Zeitung.
«Fehler gemacht?»
Der Blick wertet die Wiederwahl derweil als letzte Machtdemonstration: «Weil er sich seine Agenda von nichts und niemandem diktieren lässt. Weil er nie fremdbestimmt war.» Doch: «Blatters Schritt ist nicht der Altersweisheit geschuldet. Sondern er ist viel eher Kalkül und Zwang. Der letzte Ausweg.»
Denn: «Jetzt nährt sein plötzlicher Rückzug heftige Spekulationen. Hat er, der sonst so Schlaue, doch Fehler gemacht?», fragt der Kommentator im Tages-Anzeiger und im Bund.
«All die Fifa-Granden, die in Zürich oder anderswo verhaftet wurden, werden singen und sich gegenseitig in den Morast ziehen, den sie jahrzehntelang bewässert haben», lautet die Prognose des Kommentators auf watson.ch, der zugleich die Schweiz in die Pflicht nimmt, Sportrecht-Konzerne wie die Fifa nicht mehr als Vereine einzustufen.
Für den Spiegel ist die gute Nachricht des angekündigten Rücktritts: «Wer auf ernsthafte Reformen im Fussball-Weltverband hofft, kann nun ein bisschen optimistischer sein.»
«Doch der Rücktritt des Sonnenkönigs bewirkt zunächst einmal gar nichts. Die Strukturen des Weltverbandes, die ihn erst zum Selbstbedienungsladen haben werden lassen, bleiben ja die Gleichen. Was die Fifa braucht, ist eine Strukturreform», schreibt die Welt.
Der britische Guardian schlägt dafür vor, etwa das Weltmeisterschafts-Business abzutrennen von den gemeinnützigen Tätigkeiten zugunsten neuer Fussballnationen.
Dass Blatter nicht sofort abtritt, sondern noch sieben Monate im Amt bleibt, kritisiert die Tribune de Genève. Er wolle in dieser Zeit restrukturieren und reformieren, was er in all den Jahren zuvor nicht geschafft habe.
Die Neue Zürcher Zeitung sieht hierin derweil eine Chance: «Immerhin kann Blatter nun für sein letztes Anliegen weibeln, ohne auf eine Wiederwahl zu schielen.»