Während in der Stadt der Asphalt kocht, locken Hitzeferien bei – meinen Verwandten! Thomas Horat lässt in seinem Film jeden einen «Alpsummer» verbringen, der gut zu Fuss und frisch im Kopf ist. Sie reisen für zwei kurzweilige Stunden ins Schwyzer Land hinter den Mythen.
Eltern in den Städten kaufen Hamster, besuchen mit ihren Kindern Kuschel-Zoos oder zerren sie in die Wälder auf Spuren der Kriechtiere. Andere buchen eine Safari und pirschen Hirschen hinterher. Familien wie die Bürglers, Gwerders und Betscharts packen anfangs Sommer ihre Kinder und ihre mobile Habe und schleppen sie hinauf auf die Charen-Alp, in das Rätschtal oder ins hintere Bisistal, samt Dutzenden von Pferden, Kühen, Ziegen – ganz zu schweigen vom Hund.
Auch ein Tier geniesst eine Wanderung mit den Eltern
Das nennt sich Alpaufzug und kann sofort von Hitzeflüchtlingen in den Kult-Kinos gebucht werden: Das Älperleben ist eine Tradition, die die Talbauern entlastet und den Tieren Abenteuer verschafft. Der Filmer Thomas Horat hat einen solchen Sommer der Bergler mit der Kamera verfolgt. Jetzt können Sie mit dem Film für eine Lehrstunde in Naturauffassung einchecken und samt Tieren und Kindern zwei Stunden Ferien vom Feinsten genissen – im Kino.
Menschen wie Du und – Ich!
Ich möchte hier nicht verheimlichen: Worüber Betschart nachfolgend begeistert schreibt, ist nichts anders als der Sommer-Teil meiner eignen Betschart-Kindheit: Als Stadtkindergartenkind habe ich ein halbes Jahr im Lungensanatorium in Davos und die nachfolgenden Sommer in den Bergen bei meinen Verwandten und auf der Alp im Muotatal verbracht – um dem Asthma zu entkommen: Das können Sie jetzt auch.
Über dem Kuhstall schlafen. Mit dem Sennenhund hinter den Kühen herjagen. Sich mit Nidel den Bauch restlos vollschlagen. Das Butterfass drehen, bis das Butterwasser klar ist. Mit den Zehen Edelweiss aus dem Karst pflücken. Das frisch geborene Schaf über das Karrenfeld der Silberen tragen. Neben meinem Onkel die Karst-Spalten der Charetalp hüpfen. Alle Kühe beim Namen kennen. Die Ziegen melken, ohne sich den Melkeimer umstossen zu lassen. Für mich war das ärztlich verschriebenen Homöopatie. Sie wird auch bei Ihnen wirken.
Cowboys und – Girl in den Weidegebieten
Wer «Alpsummer» bucht, kriegt im hinteren Teil des Bisistals und Motatals Bilder geboten, die nicht nur im Handy-Speicher aufbewahrt werden. Ich wette mit Ihnen, auch wenn Sie die Bilder ohne meine Erinnerungen sehen, Sie werden sich trotzdem beim Wunsch nach einem längeren Aufenthalt ertappen.
Was die Familien Bürgler und Gwerder und Betschart, die Horat sich ausgesucht hat, unter Haltung von Tieren verstehen, ist ganz unaufgeregte Naturphilosophie und für Städter angenehm unterhaltend, wenn auch nicht so beschwerlich wie für die Sennen. In den abgelegenen Teilen müssen die ihre Vorräte zu Fuss hinauftragen. Selbst für die Tiere ist es eine Strapaze, hinauf zu gelangen.
Sie können fast von jeder Seite her auf die drei Alpen gelangen und dabei ein paar der wuchtigsten abgelegenen Bergwunder der Innerschweiz antreffen. Wenn sie früh genug im Kult-Kino buchen, werden Sie nicht einmal gutes Schuhwerk oder einen Regenschutz brauchen.
In einer Oskarverdächtigen Hautprolle: Mutter Natur
Behutsam öffnet Horat Ihnen die Einblicke in den Alltag der Sennenfamilien. Grosszügig lässt er Sie an der gelebten Partnerschaft zwischen Tier und Mensch teilnehmen. Dort oben sind Sie als Beteiligte an der Lebensgemeinschaft auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Die Lieder, die sie singen, sind dabei durchaus nicht nur in ausgewogener Harmonien – wie etwa jene der Gesangsgruppe «Natur pur», die mit ihren schwebenden Klängen einen eindrücklichen Soundtrack für die Reise liefern. Wenn ein überraschender Schneeeinbruch die Alp in ein Skigebiet verwandelt, können Sie auch gleich noch an einem Abzug (ins Tal) teilnehmen.
Der junge Senn zählt das Veh mit der Alp-App. Die alten Sennen nach der alten Methode: Erst alle Hufe zählen und dann durch vier teilen.
Thomas Horat enthält sich zu den Geschehnissen jeglichen Kommentars. Er lässt seine Hauptrolle sprechen. Die Natur. Davon gibt es reichlich, zum Glück, in diesem Berglerbild. «Alpsummer» zeigt aber nicht nur atemberaubende Naturaufnahmen. «Alpsummer» fasst auch ganz unaufgeregt eine verschwindende Kultur in Bilder: Eine Kuh, die im Sennenlift davonfliegt. Ein Tunnel, der von Schafen überflutet wird. Ein Eiterschmöcker, der es durchaus auch ein wenig geniesst, die Städter ein wenig mit rauhem Charme zu schockieren, nachdem er der Kuh einen eitrigen Abzess entfernt hat. Das schafft fast Cowboy-Romantik.
Aber «Alpsummer» lässt auch Raum für so etwas wie eine kleine Utopie von Gleichzeitigkeit. Die Geradheit, mit der Alfons Betschart seine Sommer schildert, der Schalk, mit der Daniel Bürgler die «Gstudierten» zitiert, ist keineswegs weltfremd. Sie ergänzen unsere mittelländlichen, mittelständischen Schweiz-Bilder. Selbst der Alte, Konrad Schelbert, steht mehr als unternehmungslustiger Rentner da, denn als Museumsstück. Er ist eben, wie die anderen Familien auch, ganz unaufgeregt von jahrelangen Erfahrungen in der Tierhaltung geprägt. Das gibt ein Selbstbewusstsein, das seine Haltung auch aus einer anderen Haltung zu Tieren zieht. «Ich mache Silicea auf die Wunde. Ich könnte auch Penicillin nehmen. Je nach dem wie der Bauer im Tal es will…»
Auf diese Reise können Sie gehen in den: Kult-Kinos in Basel.