Auch die Verabschiedung einer Amnestie für festgenommene Demonstranten hat in der Ukraine keine Lösung gebracht. Oppositionsführer Vitali Klitschko warf Präsident Viktor Janukowitsch einen Täuschungsversuch vor. Janukowitsch seinerseits meldete sich krank.
Durch den Krankheitszustand von Janukowitsch könnten sich wichtige Entscheidungen wie die Ernennung einer neuen Regierung verzögern. Der Staatschef leide an Atembeschwerden und Fieber, hiess es auf der Internetseite des Präsidialamtes am Donnerstag.
Die Opposition sprach dagegen von einer «politischen Erkrankung», die es Janukowitsch erlaube, sich den Bemühungen um eine Lösung der Krise zu entziehen. In einer Erklärung warf Janukowitsch seinen Gegnern vor, die Lage zu eskalieren. Die Regierung habe ihre Verpflichtungen erfüllt, sagte er mit Blick auf das am Vorabend verabschiedete Amnestiegesetz.
Rostislaw Pawlenko, ein Mitglied der Partei von Oppositionsführer Vitali Klitschko, sagte, die Krankmeldung des Präsidenten habe den Beigeschmack einer politischen Erkrankung: «Sie erlaubt Janukowitsch, keine Gesetze zu unterzeichnen, die Opposition nicht zu treffen und sich aus den Entscheidungen zur Lösung der politischen Krise zu verabschieden.»
Zunehmend isolierter Präsident
Wann Janukowitsch die Amtsgeschäfte wieder aufnimmt, war der Erklärung des Präsidialamts nicht zu entnehmen. Als eine der wichtigsten Aufgaben des zunehmend isoliert wirkenden Präsidenten gilt die Ernennung einer neuen Regierung nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Mikola Asarow. Derzeit übt dessen Stellvertreter Serhij Arbusow das Amt kommissarisch aus.
Klitschko forderte in einem Beitrag für die deutsche «Bild»-Zeitung vom Donnerstag mit Blick auf die Rücknahme der umstrittenen Verschärfung des Demonstrationsrechts, die EU solle ein Einreiseverbot gegen Janukowitsch und seine Behördenvertreter verhängen, «bis der Präsident die Rücknahme seiner diktatorischen Gesetze auch wirklich unterschreibt».
EU und Europarat warnen Kiew
So weit wollte Brüssel aber vorerst nicht gehen. Die Europäische Union forderte aber ein Ende der Gewalt in der Ukraine als Voraussetzung für einen weiteren Dialog zwischen Kiew und Brüssel. «Gewalt und Einschüchterung sind eindeutig nicht die Antwort auf die Krise», sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Donnerstag nach einem Gespräch mit dem polnischen Regierungschef Donald Tusk.
Auch die parlamentarische Versammlung des Europarates verurteilte die Gewalt in der Ukraine. Sie will jedoch den Abgeordneten aus Kiew vorerst nicht mit Sanktionen drohen.
Nur bei einer gewaltsamen Räumung des Unabhängigkeitsplatzes sollte die Versammlung prüfen, ob den Parlamentariern des Landes das Stimmrecht entzogen werden sollte, hiess es in einer Entschliessung, die die Versammlung der 47 Europaratsländer in Strassburg mit grosser Mehrheit verabschiedete.
US-Regierung bereit zu Sanktionen
Die US-Regierung hingegen bereitet nach Angaben aus dem Kongress Sanktionen sowohl gegen Mitglieder der ukrainischen Führung als auch gegen Anführer der jüngsten Proteste vor. Sie könnten verhängt werden, wenn die Gewalt weiter zunehme, sagten Berater des Parlaments.
Am Donnerstag blieb es im Zentrum von Kiew zunächst weitgehend ruhig. Nur einige Dutzend bewaffnete Demonstranten harrten noch an den Barrikaden um den Unabhängigkeitsplatz (Maidan) aus. Jedoch hielt die Opposition in Kiew und mehreren anderen Städten weiterhin etliche Regierungsgebäude besetzt.
Die Opposition hatte die Abstimmung im Parlament über das Amnestiegesetz boykottiert, weil dieses ein Ende der Proteste und die Räumung besetzter Gebäude innerhalb von 14 Tagen verlangt.