In der musikalischen Séance «When I Die» präsentiert Thom Luz die Geisterwelt von toten Komponisten. Mit viel skurrilem Witz und voller rätselhafter Details.
«Man muss unbedingt darauf achten, an einem anderen Ort zu sterben als man geboren wurde, sonst sieht es so aus, als sei man nirgendwo hingekommen.» Probleme haben diese toten Komponisten. Oder eben nicht. Sergej Rachmaninoff, geboren in Nowgorod, gestorben in Beverly Hills, hat’s gut gemacht. Fréderic Chopin (Żelazowa Wola und Paris) ebenfalls. Aber Franz Schubert? Geboren in Wien, gestorben in Wien!
Diese bedeutenden Köpfe der Musikgeschichte tauchen posthum auf der Bühne der Reithalle der Kaserne Basel auf. Zusammen mit Ludwig van Bethoven, Johanns Brahms, Edward Grieg (geboren Bergen, gestorben in Bergen) und John Lennon lässt sie der Theatermacher und Musiker Thom Luz aus dem Jenseits auftauchen. Aber eigentlich ist nicht er es, der dieses tut, sondern Rosemary Brown aus Süd London – eine Figur, die bis 2001 wirklich gelebt hat.
Das Medium und die toten Komponisten
Diese Rosemary Brown, so geht aus ihrer Biografie hervor, bekam im November des Jahres 1964 – ihr Ehemann war drei Jahre zuvor gestorben – Besuch von Franz Liszt. Also von dessem Geist natürlich, denn der berühmte Komponist (geboren in Raiding/Doboján und gestorben in Bayreuth) war ja bereits lange tot. Der Geist von Liszt schaute aber nicht einfach so vorbei, sondern diktierte ihr ein paar Musikstücke, die er zu Lebzeiten nicht mehr niederschreiben konnte.
Dieses muss sich im Jenseits rasch rumgesprochen haben, denn auf dem Fuss folgten viele weitere Komponisten, so dass wir wegen Rosemary Brown in den Genuss von Beethovens zehnter und elfter Sinfonie kamen, von zwölf neuen Liedern von Schubert und viel weiterem mehr, was in Fachkreisen natürlich auf grosse Skepsis stiess, aber auch Verwunderung darüber auslöste, dass eine musikalisch nicht sonderlich gebildete Person Stücke aufschreiben konnte, die zumindest stilistisch den zu Lebzeiten entstandenen Werken der Komponisten entsprachen. (Einige Stücke wurden sogar aufgeführt und aufgenommen – hier ein von Chopin diktiertes Stück als Hörprobe.)
Die Sphären zwischen dem Dies- und Jenseits
Diese Geschichte scheint wie geschaffen zu sein für einen Künstler, der auf dem Theater sowie als Frontmann der Indie-Rockband My Heart Belongs to Cecilia Winter gerne die Sphären zwischen dem Dies- und Jenseits, zwischen Wach- und Traumzuständen auslotet. Thom Luz bringt also die phantastische Geschichte dieser Rosemary Brown auf die Bühne.
Nun, Geschichte ist ein bisschen viel gesagt. Es handelt sich eher um Stimmungsbilder, um traumhafte, wenig zusammenhängende Einblicke in eben diese Zwischenwelt, die eigentlich den Geistern und ihren Medien vorbehalten ist, und die für uns ganz und gar dem Diesseits verhafteten Menschen auf der Zuschauertribüne doch recht rätselhaft vorkommen muss.
Komponisten im Quartett
Zu Beginn ist alles noch relativ gut nachvollziehbar. Wir sehen Rosemary Brown (Suly Röthlisberger) am Klavier sitzend. Beinahe stumm plappert sie vor sich hin (mit ihrem verstorbenen Mann?), bis im weiten Bühnenraum nach und nach einzelne Töne erklingen. Von Geisterhand ausgelöst auf einer Glasharfe am rechten Bühnenrand, auf zwei E-Pianos, auf einer Celesta, aus einem alten TV-Gerät erklingend aus Mündern von vorerst nicht sichtbaren Geistern und auf einer Klarinette und einer Bratsche gespielt.
Zuerst sind es nur ganz wenige Töne, die Rosemary Brown leise auf dem Klavier nachspielt und nachsummt. Später setzen sie sich zu Melodien zusammen. Nun erscheinen auch die Komponisten, gleich im Quartett (Mathias Weibel, Daniele Pintaudi, Jack McNeill und Samuel Streiff, bis es dem Medium Brown zuviel wird, und sie mit dem Zerschlagen einer Teetasse für Ruhe sorgen muss.
Die Geister, die sie nicht rief …
Ganz so einfach ist die Beziehung einer Lebenden mit toten Komponisten also nicht. Aber diese spielen und singen schön. Als vierstimmiger Männerchor, als Trio mit Klavier, Klarinette und Bratsche und als skurriles Klavierensemble, welches das Instrument, ohne die Tasten zu berühren, in den mechanischen Eingeweiden sechshändig zum Erklingen bringt.
Thom Luz lässt uns in das letztlich doch ziemlich wirre Innenleben dieser Rosemary Brown treten, das bevölkert wird von musikalischen Geistern, die sie nicht eigentlich rief, aber auch nicht mehr los wird. So richtig verwirrend wird es, wenn neben den genannten Komponisten auch noch die Geister von Albert Einstein und Rosemarys verstorbenem Mann auftauchen. Und zu guter Letzt auch noch ein BBC-Reporter aus dem Diesseits an die Türe klopft und das Medium interviewen will.
Viel Aufmerksamkeit abverlangt
So wie die toten Komponisten ihr Medium ganz gehörig in Beschlag nehmen, verlangt Regisseur Thom Luz auch vom Publikum viel an Aufmerksamkeit ab. Man muss sich auf diese seltsame, eben geisterhaft verschrobene Szenerie einlassen. Der Abend bietet keinen Handlungsstrang oder roten Faden, der sich schlüssig und klar nachvollziehen lässt. Vielmehr ist es eine Art tönendes Wimmelbild voller kleiner szenischen Puzzlesteine, die das Publikum selber zu einem Gesamtbild zusammensetzen muss.
Wer sich auf dieses herausfordernde Spiel einlässt wird belohnt. Dem Publikum an der Basler Premiere in der Reithalle der Kaserne scheint es – dem Applaus nach beurteilt – Spass bereitet zu haben.
«When I Die»
Ein Musiktheater von Thom Luz
Raum und Regie: Thom Luz, Musikalische Leitung: Mathias Weibel, Kostüme: Tina Bleuler
Mit: Suly Röthlisberger, Mathias Weibel, Daniele Pintaudi, Jack McNeill, Samuel Streiff
Eine Koprodukltion von Gessnerallee Zürich, Spielart Festival München, Kaserne Basel, Theater Chur und Südpol Luzern
Die weiteren Vorstellungen: 31.1., 1.2.2014, Kaserne Basel, Reithalle. Im Anschluss an die letzte Vorstellung findet ein Publikumsgespräch statt.