Kulturminister Alain Berset hat vielzitierte Aussagen über die Schweiz – das «Leiden am Kleinstaat», den «Diskurs in der Enge» – für überholt erklärt. Die Polarisierung zwischen Weltoffenheit und Schweizer Provinzialität sei Geschichte, sagte Berset in Solothurn.
Das Schweizer Filmschaffen sei «auf souveräne Art weltläufig» geworden, betonte der Kulturminister anlässlich der Eröffnung der 49. Solothurner Filmtage. Auch der kulturelle Dialog innerhalb der Schweiz werde zunehmend lebendiger: «Die Filmschaffenden arbeiten heute selbstverständlich über die Sprachgrenzen hinweg.»
Als Neuerung kündigte Berset die Schaffung eines Swiss Filmlocation Fund an. Ziel sei es, finanzielle Anreize zu setzen, damit die Herstellung von Schweizer Filmen und Koproduktionen nicht zunehmend im Ausland erfolgt. Bis im Sommer versprach Berset hierzu nähere Angaben. Im Gange sind zudem die Verhandlungen um das europäische MEDIA-Abkommen, an dem sich die Schweiz weiterhin beteiligen möchte.
Festivaldirektorin Seraina Rohrer wies an der Eröffnung die bisweilen geäusserte Befürchtung, dass die wachsende Zahl der Schweizer Filme in den Kinos das Interesse erlahmen lassen könnte, vehement zurück. Es gebe im Gegenteil zu wenige Schweizer Filme.
«Ich vermisse beispielsweise einen Thriller zur Affäre Hildebrand», sagte Rohrer: «Es fehlt ein Wirtschaftskrimi über gestohlene Bankdaten, die nach Deutschland verkauft werden. Und: Wo bleibt der Spielfilm über die 80er-Unruhen in Zürich? Wo bleibt der Film über den Ausbrecherkönig Walter Stürm? Wo einer über die erste Schweizer Juristin Emily Kempin Spyri?»
Aktuelle Bedeutung
Als Grund für die augenfälligen Lücken in der Schweizer Filmproduktion nannte Rohrer die aus finanziellen Gründen zunehmend erforderliche Zusammenarbeit mit ausländischen Koproduzenten. «Ohne den positiven Entscheid ausländischer Fördergremien lassen sich grössere Filme in der Schweiz heute nicht realisieren», erklärte Rohrer.
Sie wolle zwar «auf keinen Fall mit der Armbrust auf ausländische Produzenten los», doch es sei ihr ein Anliegen, dass Schweizer Geschichten auf die Leinwand kommen. Das Interesse an Schweizer Helden sei ja offensichtlich vorhanden
Bei der Umsetzung fehle es nicht nur am Geld. «Wir müssen für den Schweizer Film Synergien besser nutzen», betonte die Direktorin: «Ich fordere, dass es in der Schweiz vermehrt möglich sein sollte, wichtige Themen fiktionalisiert zu verfilmen. Wir brauchen Geschichten und Bilder, die eine aktuelle Bedeutung haben!»
Als positives Beispiel erwähnte sie naheliegenderweise den Eröffnungsfilm der 49. Filmtage: Die Weltpremiere des Streifens «Akte Grüninger» von Alain Gsponer stand denn auch im Zentrum der Feierlichkeiten am Donnerstag. Bundesrat Berset betonte, dass der Film über den St. Galler Flüchtlingshelfer Fragen aufwerfe, die sich auch heute noch stellen könnten: «Wann wird Ungehorsam zur Pflicht?» und «Was ist gerecht?».
Zahlreiche Premieren
Neben Regisseur Gsponer waren am Donnerstag neben anderen auch Stefan Kurt, der im Film den Polizeihauptmann Paul Grüninger (1891-1972) verkörpert, sowie die Schauspieler Anatole Taubman («Quantum of Solace»), Max Simonischek («Am Hang») und Patrick Rapold zur Premiere angereist.
«Akte Grüninger» kommt nicht nur die Ehre zu, in Solothurn als Eröffnungsfilm zu fungieren. Gsponers Geschichtsdrama ist zudem auch für den mit 60’000 Franken dotierten «Prix de Soleure» nominiert. Um die hochdotierte Auszeichnung, über deren Vergabe eine Jury entscheiden wird, rittern vier Dok- und zwei Spielfilme.
Während in der «Prix de Soleure»-Kategorie die Themen Migration und Flucht dieses Jahr auffallend präsent sind, nehmen im Rennen um den «Prix du Public», zu dem elf Streifen antreten, Komödien viel Raum ein. Insgesamt werden an den 49. Solothurner Filmtagen bis am 30. Januar rund 200 Schweizer Filme gezeigt, darunter sind 35 Premieren.