Kultwerk #1: Rhinocéros

In Ionescos Drama verwandeln sich Städter in Nashörner. In Basel ist das noch nicht ganz gelungen.

In Ionescos Drama verwandeln sich Städter in Nashörner. In Basel ist das noch nicht ganz gelungen.

In diesen Tagen hört man auch in der Schweiz die Nashörner schnauben. Sie schnauben, weil sie nicht zufrieden sind mit ihren Wahlresultaten. Man könnte meinen, ihre dicken Panzer, ihre dicken Schädel würden sie vor dem Schmerz schützen, den ihnen die Niederlage beim Machtkampf ­zugefügt hat. Doch die Art und Weise, wie sie – je nach Machart – ein spitzes oder breites Maul machen, beweist das Gegenteil. Das, was die Nashörner unter ihren dicken Schädeln verbergen – was immer es auch sein mag! –, scheint irgendwie verletzt. Also schnauben sie, hornen sie und drohen sie, drohen damit, weiter zu trampeln, hinein in die zweiten Wahlgänge. Denn sie wollen nicht locker lassen, bis sich das ganze Land in Nashörner verwandelt hat. Ob ihnen das mit diesen Beinen, diesen kurzen Beine wie sie nur Nashörner haben, gelingen mag?

In Eugène Ionescos Stück ist es eine französische Stadt, in der Nashorn-Gepolter die kleinbürgerliche Sonntagsruhe stört. Man ist verdutzt und empört («Das ist doch die Höhe!»), einer beginnt ein wirres Gespräch über die Logik, ein anderer negiert die Realität der Tiere. Doch bald besteht kein Zweifel mehr, dass sich Mitbürger in Nashörner verwandeln.

Wer das Gefühl hat, Autor Ionesco verballhorne hier nur das Kleinbürgertum und fröne in drei Akten dem Absurden, übersieht die Parabel, die die Nashörner zu bieten haben. Aus einem Einzelfall wird eine gewaltbereite Massenbewegung. Ein ungeheuerlicher Konformismus stampft durch die Strassen. Der Dramatiker warnt vor der Verführung durch das Totalitäre. Man kann «Die Nashörner» als Mahnmal verstehen, als Erinnerung daran, welche Gewalt der Nationalsozialismus (aber auch der Stalinismus) hervorgerufen hat. Wie in George ­Orwells «Animal Farm» stehen auch bei Ionesco träge Tiere für das kranke Böse.

Am Ende ist es nur einer, der sich nicht von dieser grassierenden «Rhinocérité» anstecken lässt: Behringer. Journalist. Alkoholiker. Kein Held, sondern ein tragikomischer Kerl, der den Zeitpunkt für den Aufsprung verpasst hat: «Ich hätte ihnen beizeiten folgen sollen. Jetzt ist es zu spät! Nie werde ich Nashorn, nie, nie! Ich kann mich nicht mehr ändern … Elend über den, der seine Eigenart bewahren will!» Die Verzweiflung verwandelt sich in Widerstand. Behringer greift zum Gewehr. Der letzte Mensch. «Ich werde es bleiben bis zum Ende!»Im Theater ist das «Rhinocéros» ein Klassiker. In der Wildnis ist es vom Aussterben bedroht. In der Politik wurde seine Population leicht verringert. Und das, ­obschon es hierzulande den einen oder ­anderen Journalisten gibt, der sich nicht wie Behringer gegen sie wehrt, sondern sich laut schnaubend für sie einsetzt.

Eugène Ionesco

1909 in Rumänien geboren, emigrierte Eugène Ionesco 1938 nach Paris. Seinen Durchbruch schaffte er 1950 mit seinem absurden Theaterstück «La Cantatrice Chauve». 1994 starb der Dramatiker in Paris. Das Theater Basel bringt in dieser Saison «La Leçon» (Die Unterrichtsstunde) auf die Bühne. Die Inszenierung von ­Werner Düggelin feiert am 16. November Premiere.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26/10/11

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