Kultwerk #104: «Woyzeck»

Vor hundert Jahren wurde mit «Woyzeck» das letzte Stück des vor 200 Jahren geborenen Ausnahmeschriftstellers Georg Büchner uraufgeführt.

2013 neu entdecktes Portrait von Georg Büchner, vom Darmstädter Theatermaler Philipp August Joseph Hoffmann

Vor hundert Jahren wurde mit «Woyzeck» das letzte Stück des vor 200 Jahren geborenen Ausnahmeschriftstellers Georg Büchner uraufgeführt.

Der 8. November 1913 ist ein wichtiger Tag in der Theatergeschichte. Im Münchner Residenztheater wurde Georg Büchners «Woyzeck» uraufgeführt, ein Sozialdrama, das es in dieser brutalen Eindringlichkeit und mit diesem ungekünstelten Nachdruck zuvor nicht gab. Und ein Werk, das – wenn man bedenkt, dass der Text bei seiner Uraufführung bereits 77 Jahre alt war – lange danach noch einzigartig blieb.

«Woyzeck», 1836 geschrieben, entstand also, lange bevor Brecht, Hauptmann oder Wedekind die Menschen vom Rand der Gesellschaft auf die Bühne brachten. Büchner hat sich damit als Wegbereiter der literarischen Moderne in die Geschichte eingebrannt, und sein «Woyzeck» wurde zum Vorläufer des Expressionismus und des Naturalismus. Das Stück nimmt in einem eingestreuten Horror-Antimärchen vielleicht gar die bedrohlichen Albtraumwelten Franz Kafkas vorweg. Und es ist heute, gut 175 Jahre nach seiner Entstehung, noch immer ungemein zeitgemäss, was ein wichtiger Grund dafür ist, dass «Woyzeck» immer noch zu den meistgespielten Stücken zählt.

Dabei handelt es sich eigentlich «nur» um ein Dramenfragment: Rund 30 kurze Szenen sind es, ohne vorgegebene Reihenfolge, in einer ungehobelten Sprache geschrieben, die sich an den hessischen Dialekt anlehnt und vor allem bei der Titelfigur eindrücklich vom verzweifelten Unvermögen des gedemütigten Verlierers zeugt, mit den auf ihn einpreschenden Umständen umzugehen.

Erbarmungsloses Universum

Die Geschichte des Stücks ist schnell erzählt: Der Soldat Woyzeck arbeitet, um seine Geliebte Marie und das gemeinsame uneheliche Kind über die Runden zu bringen, als Lakai bei seinem Hauptmann, der keine Gelegenheit auslässt, den unter Wahnvorstellungen leidenden Mann zu demütigen. Dasselbe widerfährt ihm durch den skrupellosen Doktor, der Woyzeck als Versuchskaninchen missbraucht. Als Woyzeck seine Marie beim Seitensprung mit dem arroganten Tambourmajor erwischt, ersticht er sie im Wahn.

Büchner bildet ein erbarmungsloses Universum ab, in dem es für diejenigen, die ganz unten sind, keinerlei Aussicht auf Gerechtigkeit oder gar Glück gibt. «Woyzeck» ist das Psychogramm des Verlierers par excellence, der geschundenen und erniedrigten Kreatur, die zur schlimmstmöglichen Tat getrieben wird, nämlich zur Ermordung des einzig Liebenswerten in ihrem würdelosen Leben. Zugleich ist «Woyzeck» ein sozialrevolutionäres Plädoyer für die Würde des Menschen und das Recht auf freie Selbstbestimmung.

Georg Büchner
Vor 200 Jahren kam Georg Büchner in der Nähe von Darmstadt zur Welt. Mit 21 Jahren wurde er durch seine sozialrevolutionäre Streitschrift «Der hessische Landbote» («Friede den Hütten, Krieg den Palästen») zum Staatsfeind. 1837 erlag er, gerade mal 23-jährig, in Zürich der Infektionskrankheit Typhus. Büchner, der neben dem Schreiben eine Karriere als Naturwissenschaftler eingeschlagen hatte, hinterliess ein quantitativ schmales, aber eminent bedeutendes literarisches Werk.

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