Smells Like Legend – Nirvana schrieben mit «Nevermind» die letzte wegweisende Rockplatte. Vor 20 Jahren erschoss sich ihr Sänger Kurt Cobain in Seattle.
Im Januar 1992 fand ein Generationenwechsel in den US-Charts statt. «Dangerous», das aktuelle Album von Michael Jackson, dem damaligen «King of Pop», wurde von einem Trio aus Seattle verdrängt, das ein Jahr zuvor noch kaum jemand auf der Rechnung hatte: Nirvana. Als sich ihr Album «Nevermind» auf die Spitzenposition schob, waren die achtziger Jahre abgeschlossen und die Sorglosigkeit dieser Dekade, die in Jacksons «Dangerous» einen letzten gigantischen Ausdruck fand, von sprödem Gitarrenlärm und introvertierten Texten hinweggefegt. Der Grunge war angekommen.
Nirvana stammten aus der Alternativszene Seattles. Zu ihren Vorbildern gehörten die Melvins sowie Sonic Youth und Pixies – die Pioniere dieses typisch amerikanischen Indierocks. Die Wurzeln reichten aber noch weiter zurück: zu den Sex Pistols, Led Zeppelin, den späten Beatles
Ihr Debüt «Bleach» veröffentlichten Nirvana 1989 und klangen noch bedeutend roher als zwei Jahre später. Aber schon da war in ihren melodiereicheren Ansätzen wie dem später als Unplugged-Ballade berühmten «About a Girl» erkennbar, dass dieses Trio ein Potenzial aufwies, mit dem es über den Underground hinausragen konnte.
Als 1991 der Nachfolger erschien, war die Zeit reif für eine haltungsstärkere und reflektiertere Rockmusik, die den Hair-Rock und dessen letzten Höhepunkt Guns N‘ Roses ablöste. Die zweitwichtigste Rockplatte dieser Jahre war das Debüt von Rage Against the Machine, die Rap und Rock aggressiv verbanden und explizit politisch aus dem Underground herausbellten. Die wichtigste war «Nevermind».
Der massive Erfolg, der die Rockstars Kurt Cobain, Krist Novoselic und Dave Grohl innert Monaten aus der Seattle-Szene auf die grossen Rockbühnen katapultierte, hatte ebenso viel mit dem frischen, zornigen Sound wie den griffigen Themen zu tun. Die Aufforderung «Come As You Are» fand sich als Kleidercode in der Grunge-Mode aus abgegriffenen Sneakers und Karo-Hemden wieder. Ihr Überhit «Smells Like Teen Spirit» entwickelte sich, mit grosser Unterstützung von MTV, zur letzten grossen Generationenhymne, die Introvertiertheit und ziellose zornige Ausbrüche musikalisch einzufangen wusste.
Er ist als «Nevermind»-Baby in die Rockgeschichte eingegangen: Spencer Elden. Sein Vater war in der Filmindustrie tätig, im Bereich Special Effects, und mit dem Fotografen Kirk Weddle befreundet. Dieser suchte 1991 ein Baby für ein Shooting in einem Schwimmbad in Pasadena.
Spencers Mutter war Schwimmlehrerin und wusste, dass ihrem halbjährigen Kind nichts passieren würde, wenn man es kontrolliert in den Pool eintauchen liess. Kontrolliert hiess, dass man es anblies, worauf Babys die Luft anhalten würden. Das tat der sechs Monate alte Spencer auch. Im Nachhinein fügte man noch eine Fischerangel und eine Dollarnote hinzu, fertig war das Kult-Cover, für das die Familie mit – je nach Quelle – 200 Dollar entlöhnt wurde. Spencer hat das Coverbild für das «Rolling Stone»-Magazin 2001 und 2008 nachgestellt. Er hat die Kunsthochschule absolviert und arbeitet als Künstler.
Der Fotograf Kirk Weddle, der vom Plattenlabel Geffen beauftragt worden war, sich um das Cover zu kümmern, war Taucher und spezialisiert auf Unterwasserfotografien.
Schon damals wurden Nirvana missverstanden: Der Song ist kein Rebellionsaufruf, sondern handelt von einem Parfum gleichen Namens, das Cobains damalige Freundin trug. Die Band trat mit «Nevermind» in eine Übergangsphase der Rockmusik ein, in der die Industrie einen neuen Sound und neue Bands brauchte. Eine kaum verbandelte Szene wurde als «Grunge» zu einem neuen Genre, das sich dank des Zeitgeistes sofort als kommerziell verwertbare Jugendkultur entpuppte. Nirvana reagierten darauf ablehnend mit dem weitaus sperrigeren Nachfolger «In Utero» sowie einem Unplugged-Album, das kaum mehr eine Spur von Verweigerungshaltung aufwies und Kurt Cobain als witzigen Entertainer mit einem Flair für hübsch arrangierten Folk zeigte.
Mit «MTV Unplugged in New York» wurde hörbar, wie der «Grunge» implodierte. Ein halbes Jahr später war Cobain tot. «Nevermind» hingegen bleibt die bisher letzte wegweisende Rockplatte, die auch eine Generation später als Sozialisierungssound für Teenager zu gebrauchen ist.
«It’s better to burn out than to fade away», schrieb Kurt Cobain in seinem Abschiedsbrief am 5. April 1994. Er zitierte damit eine Neil-Young-Zeile, ehe er sich mit einer Überdosis Heroin im Blut in den Kopf schoss. Es war das Ende eines erschütterten Lebens, das in zerrütteten Familienverhältnissen begann, in Drogensucht mündete und schliesslich auf dem Höhepunkt, dem Status eines Rockstars, ein abruptes Ende fand.
Nirvana waren zu dieser Zeit bereits aufgelöst, das Erbe der Band verwalten seither Dave Grohl, Krist Novoselic und Cobains Witwe Courtney Love zu gleichen Teilen.
Kürzlich hat die Polizei den Fall Cobain erneut aufgerollt: Dabei wurden die früheren Ermittlungen bestätigt: «Es war Selbstmord.»