Alles andere als doof, diese Punks: Mit ihrem Debüt erschufen Daft Punk 1997 im Alleingang den «French House».
Manchmal bewirken Verrisse nicht nur Wunden, sondern auch Wunder. So geschehen im Falle der Franzosen Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem Christo, die es Anfang der 90er-Jahre mit ihrer Rockband bis in den tonangebenden «Melody Maker» schafften. Doch o, là, là: quel horreur! Das snobistische britische Magazin machte sich in seiner Kritik ungeniert über «Darlin» lustig – und bezeichnete die Musik der beiden Mecs schlicht als doofen Punk, im O-Ton: «Daft Punk».
Launig-lärmiges Potpourri
Daraufhin sagte sich das Darlin-Duo: «No more Mr Nice Guy.» Die Gitarre hängten Thomas und Guy-Man an den Nagel, hauten stattdessen mit derselben rotzigen Punkattitüde in die Synthie-Tasten. Und siehe da: Aus brachialen Bruchstücken von Techno und House, Acid und Funk schufen die beiden Melodienmacher eine ureigene Mixtur, ein launig-lärmiges Potpourri, das elektronische Pendant zum Drei-Akkorde-Geschrummel: «Da Funk» war geboren – und rüttelte im Big-Beat-infizierten Britannien die Raves ordentlich durch.
«Wer steckt hinter Daft Punk?», rätselte die heftig entflammte Musikpresse. Getreu dem damaligen Techno-Credo der Anonymität hielten Bangalter und Guy-Man ihr Gesicht geheim und traten nur in futuristischen Raumanzügen vors Publikum.
Meisterhafte Musikvideos
Der Hype war perfekt, ein ungeahnter Rummel brach los. Daft Punk erhielten einen Vertrag beim Plattenmulti «Virgin» und nutzten die Gunst der Stunde geschickt, um – statt ihre Identität preiszugeben– die Clubhits «Da Funk» (Regie: Spike Jonze) und «Around the World» (Regie: Michel Gondry) visuell in atemberaubende Meisterwerke der Musikvideo-Geschichte zu verwandeln. Die letzten Zweifel im Popdiskurs zerstreuten Daft Punk im Januar 1997 mit der Veröffentlichung ihres Debütalbums «Homework»: Das ebenso epische wie eklektische Monument bewies der Musikwelt endgültig, dass diese Jungs ihre Hausaufgaben gemacht hatten. So roh und wild, gleichzeitig chic und geschmeidig hatte noch niemand Electro auf Albumlänge gebannt – geschweige denn davon innert weniger Wochen 2,5 Millionen Exemplare verkauft.
In ehrfürchtiger Verneigung vor den zwei Unbekannten nannte man das von ihnen kreierte Klanguniversum fortan «French-» oder «Filter House» – ein Genre, das nicht nur für die kommerzielle Erfolgsgeschichte der elektronischen Musik steht, sondern dank seinen Botschaftern Welten wie Breaks, Disco-Funk und Rave-Techno vereint. Auch heute noch, 15 Jahre später, wird dieses von Mainstream-Produzenten wie Kanye West oder David Guetta erbarmungslos gesamplet, gecovert, geplündert. Mittlerweile gehören Daft Punk – trotz nach wie vor unbekannten Gesichtern – zu den wohl einflussreichsten Musikpäpsten der Welt. Ganz im Gegensatz zum «Melody Maker»: der wurde 2000 mangels Erfolg eingestellt.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 20/01/12