Ein Konzert für 156 Büromaschinen: Die Symphonie «Les Echanges» von Rolf Liebermann gehörte zu den Höhepunkten der Expo 1964 in Lausanne und ist eine heute noch absolut hörenswerte Pioniertat der elektronischen Musik.
Was für ein Spektakel: Im rasanten Tempo rattern, hämmern, schlagen und bimmeln sich weit über hundert Maschinen durch das vierteilige, 2 Minuten und 58 Sekunden kurze Stück. Das Ganze klingt, als hätten sich ein Techno-DJ und ein Drum Corps zum leidenschaftlichen Showdown zusammengetan.
Aber das Stück ist bereits fünfzig Jahre alt. Für den Sektor «Waren und Werte» der Expo 1964 in Lausanne hatte der berühmte Schweizer Komponist und Opernintendant Rolf Liebermann eine Komposition für 156 Büromaschinen geschaffen, die gemäss der französischen Bezeichnung des Pavillons den Titel Symphonie «Les Echanges» trug.
Schreibmaschinen und Klebestreifenbefeuchter
Das Maschinenorchester vereinigte als tönendes Monument für den technischen Fortschritt das, was damals die Bürowelt beherrschte: Schreib- und Rechenmaschinen, Streifenlocher, Klebestreifenbefeuchter, Tür-Gongs, Suchanlagen-Empfänger, Telefonapparate und dergleichen mehr. Damit sie akustisch richtig zur Geltung kamen, wurden die Geräte auf- beziehungsweise eigentlich abgetunt, indem man zum Beispiel die Schalldämpfungen entfernte.
Gesteuert wurde diese fantastische Rhythmusmaschinerie durch einen Computer. Dieser funktionierte vor fünfzig Jahren natürlich noch ganz und gar anders als die handlichen Alleskönner von heute. Liebermanns Partitur wurde auf einen Lochstreifen übertragen, der ein unglaublich komplexes elektronisches Netzwerk steuerte, das die einzelnen Bürogeräte mechanisch zum Erklingen brachte – dieses nahm sieben Monate Aufbauarbeit in Anspruch.
Techno fürs Schweizervolk
Das diffizile Netzwerk hatte seine Tücken: Ausgerechnet als der Bundesrat zu Besuch war, stürzte die Maschinerie ab. Schuld waren nicht Computerviren, sondern Ratten, welche die Kabel angenagt hatten. Ansonsten begeisterte die Symphonie «Les Echanges» die Besucherscharen – «behäbige Städter aus Basel, Berghirten aus dem Wallis, Bauern aus dem Kanton Zug», wie die NZZ sie damals zusammenfasste. Techno fürs Schweizervolk also.
Ein Jammer eigentlich, dass die Konstruktion nach der Expo endgültig abgebaut wurde und dieses wundervolle Urwerk der elektronischen Musik heute nur noch als Tonaufnahme existiert. Zumindest im engeren Sinne. Auch wenn 1964 auf eine teure Archivierung verzichtet wurde, suchten die Verantwortlichen dennoch einen Weg, wie die Komposition auch als Live-Event die Expo überdauern könnte. Auf Liebermanns Anfrage hin schuf George Gruntz ein Jazz-Arrangement des Maschinenwerks für ein präpariertes Klavier und zwei Schlagzeuge, das der grosse Basler Jazzmusiker bis zu seinem Tod 2013 immer wieder erfolgreich zur Aufführung brachte.
Die Symphonie «Les Echanges» sowie die Jazzversion von George Gruntz kann man hier hören und downloaden: ubu.com/sound/liebermann.html
Er war Schweizer, nahm als Jurastudent Musikunterricht, arbeitete als Tonmeister, trat als Kabarettkünstler und Crossover-Musiker auf, komponierte linke Polit-Chansons und schuf klassische Zwölfton-Orchesterwerke sowie mehrere Opern. Berühmt wurde Liebermann (1910-1999) aber vor allem als Intendant der Hamburgischen Staatsoper und der Pariser Oper.
Bericht von SRF über die Symphonie «Les Echanges»