Kultwerk #46: Onkel Toms Hütte

1852 schrieb Harriet Beecher Stowe ein Buch, das kritisiert wurde, aber unvergesslich bleibt.

Die Geschichte des Sklaven Tom ist weltberühmt – und wurde 1964 auch verfilmt (Bild: Cinetext, akg)

1852 schrieb Harriet Beecher Stowe ein Buch, das kritisiert wurde, aber unvergesslich bleibt.

In dem Jahrhundert, in dem dieses Buch erschien, wurde nur ein Buch häufiger gekauft: die Bibel. Und mit der Bibel hat «Onkel Toms Hütte», erschienen vor 160 Jahren in Connecticut, viel zu tun. Die Autorin Harriet Beecher Stowe war Tochter eines evangelikalen Priesters, vor allem aber überzeugte Gegnerin der Sklaverei: Geschrieben hat sie das Buch als Reaktion auf den «Fugitive Slave Act» von 1850, ein Gesetz, das den Eigentumsstatus von Sklaven zementierte.

Stowes Roman erzählt die Geschichte des Sklaven Tom, der an verschiedene weis­se Herren verkauft und von seiner Familie getrennt wurde und schliesslich beim sadistischen weissen Plantagenbesitzer Simon Legree landete. Als einige von Legrees Sklaven die Flucht ergreifen und Tom sich weigert, ihren Zielort zu verraten, wird er von Legrees Männern zu Tode geprügelt. «Onkel Toms Hütte» erzählt eine Geschichte von Loyalität, Standhaftigkeit und Märtyrertum, die politische Folgen hatte: Sie gab der Bewegung der Sklavenbefreiung gros­sen Aufschwung, der schliesslich 1861 in den amerikanischen Bürgerkrieg der Süd- gegen die Nordstaaten mündete. Eine Anekdote, die aus einer Begegnung Stowes mit US-Präsident Abraham Lincoln im ersten Kriegsjahr überliefert ist, verdeutlicht die Bedeutung des Buches: «Das ist also die Dame, die den grossen Krieg entfacht hat», soll Lincoln zu ihr gesagt haben.

Stowe revidierte herrschendes Bild über Schwarze

Stowe schrieb allerdings keinen politischen Roman, sondern eine Hiobsgeschichte unter den Bedingungen der Sklaverei: Die Figur des Sklaven Tom verdichtete sie zum Vertreter eines gewaltfreien, christlich motivierten Widerstandes. Wird Tom gepeinigt, so vergibt er seinen Folterern. Wird er aus den Armen seiner Familie verkauft, legt er sein Schicksal fügsam in die Hände Gottes. Stowe hat damit einen Kontrapunkt zum vorherrschenden Rassenbild der als faul, triebgesteuert und unmoralisch typisierten Schwarzen geschaffen, es jedoch ersetzt mit sklavischen Attributen: unterwürfig, duldsam, leidensfähig.

Kritik erntete das Buch für diese zwiespältige Moral bereits in den Jahren nach der Erstpublikation. Im 20. Jahrhundert und durch die Entstehung von Schwarzenbewegungen ist die Figur des Onkel Tom als «Uncle Tom Nigger» zum beschimpften Symbol derjenigen Schwarzen geworden, die sich ins dominierte weisse Amerika fügten, anstatt für ihre Rechte zu kämpfen. Diese Vorbehalte haben mit dem Buch überlebt, nicht vergessen ist indes Stowes grosse Leistung: Sie hat diese gesellschaftlich weithin akzeptierte Barbarei in konkrete menschliche Schicksale übersetzt. Mittels ihrer christlichen Perspektive behandelte sie Sklaverei nicht als Thema politischer Aktualität, sondern universalisierte den Kampf gegen sie als Aufgabe und Ausdruck der Menschlichkeit.

Die Schriftstellerin Harriet Beecher ­Stowe (1811–1896) aus Connecticut war eine erklärte Gegnerin der Sklaverei. «Onkel Toms Hütte», ihr bekanntestes Buch, erschien zuerst in Fortsetzungen in der ­Abolitionisten-Zeitung «National Era». Das Buch erreichte bereits im ersten Jahr 300 000 Leser, später ein Millionenpublikum.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.09.12

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