Vor einem Vierteljahrhundert revolutionierte der «musikalische Molotow-Cocktail» von Public Enemy den Rap. Bis heute bleibt ihr erstes Konzeptalbum in seiner Durchschlagskraft unübertroffen.
In Zeiten, wo bereits ein allzu aufrührerischer Facebook-Status einen zum gesuchten Staatsfeind machen kann, würde wohl kaum eine US-Gruppe mehr mit dem Namen «Public Enemy» international Gehör erlangen – erst recht nicht, wenn diese Truppe in ihren Lyrics nicht bloss die herrschende, soziale Ordnung mit harschen Worten angreift, sondern sogar deren Umsturz propagiert.
Umso erstaunlicher scheint rückblickend der Siegeszug von Public Enemy, dem 1982 in New York gegründeten Projekt des Polit-Propheten und Poeten Chuck D sowie seinen Mitstreitern, dem surrealistischen Reime-Zampano Flavor Flav und DJ Terminator X. Mit ihrer ureigenen, unverwechselbaren Kreuzung aus Hardcore Rap, Polit-Agitation und harschen Klanggewittern zwischen Funk und Metal lehrte das Trio damals das US-das Establishment das Fürchten.
Bomb Squad sorgten für akustische Durchschlagskraft
Beflügelt vom Achtungserfolg des Debüts «Yo! Bum Rush the Show» entwarf Mastermind Chuck D 1987 seinen grössten Wurf, das bis heute unübertroffene «It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back». Ein Konzeptalbum, das die Empowerment-Geste von Marvin Gayes monumentalem, sozialkritischen Soul-Meisterwerk «What’s Going On?» (1971) in die Sprache der jungen, vom Mainstream zuvor grösstenteils ignorierten Rap-Bewegung übersetzen sollte.
Um dessen Botschaft mit adäquat-aktuellen Klanglandschaften zu unterstreichen, kreierte das aufstrebende Hip-Hop-Produzenten-Team The Bomb Squad für das Trio zudem eigens einen völlig neuen Stil: Peitschende Old-School-Funkbeats trafen dabei auf krachend-lärmige Soundwälle, und verliehen den rasanten-aggressiven Reimen, welche die allgegenwärtige Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung anprangerten und zum totalen Widerstand aufriefen, die nötige Durchschlagskraft.
Der Plan ging auf: Obwohl «It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back» von vielen etablierten Fernseh- und Radiosendern aufgrund des als «extremistisch» taxierten Inhalts boykottiert wurde, erlangte Public Enemys «musikalischer Molotow-Cocktail» («Rolling Stone») Platin-Status, und wurde weltweit von Musikkritikern nicht nur zur Platte des Jahres, sondern sogar zum wichtigsten Rap-Album überhaupt gekürt.
Auch heute noch gehören Tracks wie «Bring the Noise» oder «Don’t Believe the Hype» zu den meistgesampelten Rap-Klassikern – und lassen vom Trio Infernale inspirierte Nachfolger wie Jay-Z und Kanye West in puncto Einfluss und Wirkung, Frische und Furor ziemlich alt aussehen.
Flavor Flavs zweiter Frühling
Während sich Terminator X aus dem Showgeschäft zurückzog, um Strausse zu züchten, und Chuck D bis heute als Conscious Rapper durch die Welt tourt, startete Paradiesvogel Flavor Flav in den Nullerjahren mit der MTV-Dating-Show «Flavor of Love» eine Zweitkarriere als Reality-Star, wo er als alternder Exzentriker den vorlauten Hahn im Korb mimte.In dieser Rubrik stellen wir jeweils ein Kultwerk vor, das in keiner Sammlung fehlen sollte.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.04.13