Regisseur Ulrich Seidl begibt sich im ersten von drei Filmen auf die Suche nach dem Liebesglück.
Ulrich Seidl hat gleich drei Filme gedreht. Jetzt können wir den ersten, «Paradies: Liebe», geniessen. Wie einst Ödön von Horváth, dem die Nazis eine Uraufführung seines Stückes verboten, bezieht Seidl sich im Titel auf Paulus’ «Glaube, Liebe, Hoffnung» im Korintherbrief: «Die Liebe freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit!»
Karg wie Paulus’ Sprache sind Seidls Bilder. Und wie Paulus ist Seidl ein Seher, einer, der uns in jedem Bild mehr sehen lässt, als andere es mit ganzen Filmen nicht vermögen. Das liegt daran, wie genau er seine Bilder komponiert. Das liegt aber auch daran, dass er keine Scham kennt. Seidl betrachtet vor unseren Augen die Dinge so lange zu Ende, bis alles überflüssig Geschönte wegfällt. Bis nur noch der unverschämte, nackte Kern bleibt.
Stillstand und eine Reise
Ganz zu Beginn von «Paradies: Liebe» herrscht Stillstand auf der heimatlichen Auto-Scooter-Bahn. Erst als die Auto-Scooter endlich losrasen, wird klar: Am Steuer sitzen lauter Geisteskranke. Die geniessen das! Die hören erst auf, wenn der Strom wieder ausfällt.
Dass eine biedere Mutter eine Reise nach Kenia antritt, in der sie sich auf die Suche nach Liebe begibt, könnte leicht Anlass zu einem Film über Sex-Tourismus werden. Aber Seidl ist eben einer, der mehr als Betroffenheit sucht. Alleine dadurch, dass er eine Frau Freierin sein lässt, könnte er uns schon verblüffen. Aber er denkt die Dinge in seinen Bildern weiter. Er lässt uns viel weiter gehend zuschauen. Er nährt nicht unsere oberflächliche Sex-Tourismus-Betroffenheit. Seine Kamera richtet sich unerbittlich auf das Ungeschönte. Das entzieht jeder falschen Betroffenheit den Boden. Wer seine Bilder lange genug betrachtet, wird vor den Kopf gestossen, ehe das Denken einsetzt. Wer mit Erkenntnis gesegnet sein will, kann Seidl heiteren Sinnes folgen. Er ist der König der surrealen Widersprüche. Er macht keine skandalösen Bilder. Er denkt sie bloss zu Ende.
- Der Film läuft u.a. in Basel im Atelier.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.04.13