Der Kanton Basel-Stadt lässt die Sprachheilschule Riehen links liegen. Die sprach- und hörbehinderten Kinder sollen in der normalen Klasse unterrichtet werden.
Wo gehobelt wird, da fliegen die Späne: Im Bereich der baselstädtischen Schulen beschreibt diese Redewendung ziemlich treffend die aktuelle Situation. Es scheinen so viele Späne zu fliegen, dass kaum jemand der Betroffenen – Lehrerschaft, Schüler und ihre Eltern – noch sieht, was denn da entstehen soll. Sicher, namentlich sind die Pläne bekannt, gebaut wird an der Umsetzung der Schulreform HarmoS sowie an der «integrativen Schule», aber wie das Erziehungsdepartement (ED) als Bauherr vorgeht, lässt die Skepsis an der Stabilität dieser Konstruktion wachsen. Zu schnell und zu viel auf einmal, lautet die Kritik.
Es geht ungebremst weiter
Wegen HarmoS werden Schulhäuser um- und neu gebaut, Stundentafeln verändert, Lehrpersonen umverteilt und gleichzeitig – für das Ziel «integrative Schule» – Kleinklassen aufgelöst und individuelle Therapien für bedürftige Schüler gestrichen. Vor einem Monat, an der Basler Schulsynode, musste sich der Vorsteher des Departements, Christoph Eymann, deswegen einiges anhören, und er versprach der versammelten Lehrerschaft, die schulische Integration, wie sie vom ED angegangen wird, zu überprüfen.
Aber offenbar wird sie dennoch in ungebremsten Tempo vorangetrieben. Denn, wie nun bekannt geworden ist, hat der Regierungsrat beschlossen, die langjährige Zusammenarbeit mit der Gehörlosen- und Sprachheilschule Riehen (GSR), einer privaten Stiftung, per 2015 zu beenden. Diese – sprach- und hörbehinderten – Schüler sollen künftig ebenfalls in der Regelschule eingegliedert werden und die notwendige Förderung von vor Ort tätigen Logopädinnen erhalten.
Jetzt ist einigen der Kragen geplatzt. In einer Petition fordert die Gewerkschaft Erziehung im vpod das ED auf, den Leistungsauftrag mit der GSR beizubehalten. «Es braucht dringend eine Verlangsamung, sonst droht die Überforderung des Systems in den Regelschulen!», heisst es darin. Die GSR biete ihren Schülern sprachheilpädagogischen Unterricht in kleinen Klassen und 120 Minuten Logopädie pro Woche für jedes Kind. Das könne die Logopädie an den Standorten, die jetzt schon wegen zu knapper Förderkontingente und fehlender Räumlichkeiten mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen habe, nie bieten. «Der Kollaps scheint programmiert», so der Kommentar der Gewerkschaft.
Viele ungelöste Probleme
Auch Dorothee Miyoshi von der Freiwilligen Schulsynode (FSS), dem Berufsverband der baselstädtischen Lehrerinnen und Lehrer, äussert sich sehr skeptisch zum geplanten Ausstieg aus der GSR. Damit komme eine weitere Zusatzaufgabe auf die Regelschule zu, «eine sehr schwierige Aufgabe, denn diese Kinder haben teilweise eine erheblich andere Wahrnehmung, was Hören und Sprache betrifft», sagt die Schulische Heilpädagogin und Expertin für Förderung und Integration beim FSS.
Drei logopädische Lektionen pro Woche in der Schule würden niemals die spezielle Förderung, die die Sprachheilschule Riehen biete, ersetzen. Dort finde sie in einem ganz anderen Rahmen, in speziellen Settings, statt. In der momentanen Situation, wo ohnehin alles im Umbruch sei und man vor vielen, noch ungelösten Problemen stehe, auch noch die Zusammenarbeit mit Riehen aufzukünden, bezeichnet Miyoshi als ausgesprochen «radikal». Man werde sich beim FSS deshalb vorbehalten, ein «Zurück an den Start» zu verlangen.
Und was sagt man beim ED selbst? Zunächst einmal möchte Pierre Felder, Leiter Volksschule beim ED, festgehalten haben, dass es sich nicht um eine Aufkündigung der Zusammenarbeit mit der GSR handle. «Wir werden selbstverständlich weiterhin mit der GSR zusammenarbeiten, aber auf anderer Grundlage.»
Nicht auf Teufel komm raus
Man werde sowohl weiterhin den audiopädagogischen Dienst der GSR in Basel in Anspruch nehmen als auch einzelne Kinder bei Bedarf in der GSR schulen. Aber eben, sagt Felder, entsprechend dem Auftrag des Grossen Rats, das Konkordat Sonderpädagogik umzusetzen, nur noch Einzelfälle. Seit letztem Sommer habe man in den Schulen Logopädie im Angebot, «und dadurch sind wir zunehmend besser in der Lage, den Kindern eine bedarfsgerechte Förderung vor Ort zukommen zu lassen». Das Personal sei da, und falls der Logopädie-Bedarf steigen sollte, «sind wir gerne bereit, die Stellenprozente für Logopädie zu erhöhen».
Die generelle Kritik am Kurs des ED auf dem Weg zur integrativen Schule «bedauert» Felder, wie er sagt. «Unser Ziel ist nicht, auf Teufel komm raus, alle Kinder zu integrieren. Wir gehen sehr sachte vor.» Das zeige auch die Statistik. So sei der Anteil von Kindern, die ausgesondert werden, von einst zirka 7,5 Prozent auf heute erst rund 6 Prozent gesunken. Zum Vergleich: In der Stadt Zürich sei man inzwischen auf etwa 4,5 Prozent runter, sagt Felder.
Basel hat fürs neue Schuljahr keine Erstklässler angemeldet
Was den konkreten Fall der GSR betrifft, lohnt sich der Blick über die Kantonsgrenze: Auch der Kanton Baselland ist dem Konkordat Sonderpädagogik beigetreten und ist daran, möglichst viele Schüler in den Regelklassen zu integrieren. Aber eine Auflösung der Leistungsvereinbarung mit der GSR ist dort im Amt für Volksschulen kein Thema, sagt Marianne Stöckli, Leiterin der Abteilung Sonderpädagogik. Ebenso wenig eine Reduktion der kontingentierten Anzahl Plätze. Der grössere Teil der Baselbieter Kinder wie auch die paar aus dem direkt angrenzenden Teil des Kantons Solothurn besuchen zwar die zur Stiftung GSR gehörende Wieland-Schule in Arlesheim. Aber, sagt Stöckli, aufgrund der Platzsituation können sie auch Riehen zugeteilt werden.
Das werden gemäss Angaben der Schulleiterin Claudia Sturzenegger 35 Kinder sein. Insgesamt rechnet sie am Standort Riehen für nächstes Jahr mit rund 100 Schülern, nebst denen aus dem Baselbiet kommen mindestens sechs aus dem Kanton Aargau, aus Basel-Stadt seien bisher nur 58 angemeldet. «Davon kein einziger Erstklässler, die sollen bereits alle integriert werden.»
Auf der Suche nach neuem Standort
Schon letztes Jahr und ohne Vorankündigung, sagt Sturzenegger, habe das ED nur noch 80 Schüler Riehen zugewiesen. Trotz einer bis 31. Juli 2013 gültigen Leistungsvereinbarung, die eine Schülerzahl von 95 bis 105 vorsieht. Dass die GSR deswegen schliessen muss, wie gerüchteweise schon verbreitet wurde, verneint Sturzenegger: «Die Schule besteht schon seit 180 Jahren und wird auch ohne die Schüler aus Basel weiterbestehen.»
Auch die Baselbieter SP-Landrätin Regula Meschberger, die bei der GSR als Schulratspräsidentin amtet, sieht die Schule «nicht gefährdet». Absehbar sei jedoch, dass der Standort Riehen dereinst aufgegeben werde. Denn zum einen sei das Schulgebäude renovationsbedürftig und für manche Kinder ziemlich abgelegen, zum anderen sei man aus Kostengründen ohnehin daran interessiert, die derzeit auf zwei Standorte verteilte GSR an einem zusammenzuführen. Der erste Versuch, in Arlesheim ein neues Schulhaus zu bauen, scheiterte Ende November knapp an der Urne. Ein anonymes Komitee hatte das Referendum gegen den Baurechtsvertrag mit der Gemeinde ergriffen.
Man sei nun auf der Suche nach einem neuen Standort, sagt Meschberger, «vorzugsweise im Unterbaselbiet». Das sollte jedoch keinen Einfluss auf die Leistungsvereinbarung mit dem Kanton Basel-Stadt haben, eine solche sei auch über die Kantonsgrenze möglich. Dafür gebe es genügend Beispiele.
Fadenscheiniges Argument
Dennoch nennt der Regierungsrat in seiner mehrseitigen Antwort auf eine schriftliche Anfrage von BastA!-Grossrätin Brigitta Gerber auch das als einen der Gründe für den Schülerabbau in Riehen: Es gebe keine gesicherte Aussage über die Zukunft des Standorts Riehen und «mit dem Wegzug aus dem Kanton ändert sich der Status der Sprachheilschule in Riehen gegenüber dem Kanton Basel-Stadt. (…) Mit dem Umzug in einen anderen Kanton wird gegebenenfalls der neue Standortkanton mit der GSR eine Leistungsvereinbarung abschliessen.»
Nein, das ist für Meschberger ein fadenscheiniges Argument. Der wirkliche Grund sei ganz klar das Interesse, möglichst viele Kinder in die Regelklasse zu integrieren. Ein durchaus legitimer Grund, sagt sie, «aber es gibt einfach Kinder, die eine intensive Unterstützung dringend brauchen, und das kann ihnen die Regelklasse nicht bieten». Zudem sei ja die GSR eine Integrationsschule mit einem im Normalfall auf zwei bis vier Jahre beschränkten Aufenthalt, in denen die Kinder für den Übertritt in die Regelschule vorbereitet werden. Und die Erfahrungen zeigten sehr gute Ergebnisse, sagt Meschberger. Sie sei deshalb sehr enttäuscht vom Entscheid der Basler Regierung, «denn es geht um Kinder, die das ausbaden müssen».
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.04.13